Gerd Heinz
Alles fing vielleicht damit an, daß der "Normenausschuß der deutschen Industrie" im Jahre 1917 begründet wurde mit dem einfachen Ziel, die Welt der Maßeinheiten zu vereinheitlichen und zu vereinfachen. Man schuf die "Deutsche Industrie-Norm", die DIN (arabisch "der Glaube").
Der Krieg zwang zur Rationalisierung. Und der Staat spielte schnell eine entscheidende Rolle als Geldgeber und als normgebender Gesetzgeber.
Die nun genormten, metrischen Gewinde wurden ganz allgemein zu einem riesigen, wirtschaftlichen Erfolg. Nun mußte nicht mehr jeder seine eigene Schraubenfabrik unterhalten, man konnte jetzt genormte Schrauben kaufen. Auch wenn man Schraube und Mutter von verschiedenen Herstellern kaufte, so paßten sie aufeinander, ohne zu klemmen.
Später passierten Dinge, die wohl so nicht geplant waren. Normen wandten sich auch gegen industrielle Interessen. Oder Dinge wurden nicht oder viel zu spät genormt, weil sich betroffene Firmen über ihre Rechte nicht einigen konnten. (Man denke an die "Serielle Schnittstelle", an USB, Ethernet oder an Programmiersprachen).
Wurde der Reifendruck früher in atü oder ATÜ (Atmosphären-Überdruck, 1 atü = 1 kg/cm2) gemessen, so kamen plötzlich die genormten Einheiten Pascal (pa) und Bar (bar) auf den Plan, mit der der Autoschlosser bis heute nichts anfangen kann. Ein Pascal ist ein Newton pro Quadratmeter oder ein Kilogramm pro Meter und Sekundenquadrat. Ein Bar sind 105 Pascal. Für die Theorie sind sie geeignet, für die Praxis sind sie Unfug.
War der LKW-Reifen vorher mit 5 ATÜ (Atmosphären Überdruck) zu füllen, so zeigten neuartige Meßgeräte plötzlich (mit 1 at = 0,98 bar = 98.000 Pascal) absolut 5,9 bar oder relativ 4,9 bar Überdruck an. Manche zeigen auch 490.000 Pa Überdruck an. Für den Autoschlosser nicht nachvollziehbar. Unter einem Überdruck von einem ATÜ (einem Kilogramm pro Quadratzentimeter) kann er sich etwas vorstellen, unter 98.000 Pascal wohl kaum.
Es ging weiter mit der Nutzlast von Kränen oder dem Schub von Flugzeug-Triebwerken. Wurden diese früher in Kilopond (kp) oder Kilogramm (kg) gemessen, so nach der Normung nur noch in Newton: Ein Kilogramm oder Kilopond gleich 9,8 Newton.
An einem Kran, der vorher 20 Tonnen (20.000 kg) hob, stand plötzlich 196.000 Newton. Hat der Kranführer eine Ladung zu heben, die ausnahmslos in Kilogramm beziffert ist und hat er eine Digitalanzeige, die in Newton geeicht ist, so hat er nun ein Problem. Er muß ständig umrechnen, um sicher zu sein, nicht umzukippen.
Als Elektronikentwickler erlebte ich ebenfalls zwei unangenehme Normungen.
Die erste war die Vereinheitlichung von Schaltbildern für unipolare Transistoren. Irgendein DIN-Normungsausschuß hatte in den 1970ern die geistreiche Idee, alle MOS-Transistortypen in ein einheitliches Schema zu pressen. Ohne danach zu fragen, wem es nutzt und ob es überhaupt irgendeinen Sinn macht.
Plötzlich war der Zeichenaufwand für einen Transistor fünfmal so hoch, wie vorher. Hatte man einen ängstlichen Chef, so waren plötzlich alle Schaltungen, die als offizielle Dokumente aus der Firma gingen, mit diesen komplizierten Schaltzeichen zu versehen.
Betroffen von dieser Willkür waren hunderttausende Mitarbeiter in der Hardware-Entwicklung und im Schaltkreisentwurf weltweit. Eine Zeichnung dauerte fünfmal solange und die Fehlerhäufigkeit stieg enorm an. Der benötigte Speicherplatz auf dem Computer war auch viel größer. So waren sich die Schaltkreisentwickler schnell einig, auf diesen Unfug zu verzichten und ihre vereinfachten Transistorsymbole weiter zu verwenden.
Als meine Karriere im Schaltkreisentwurf gegen 1978 begann, kam noch die Normung von Logikgattern hinzu (DIN 40900). Auch hier dasselbe Verfahren: Aus den in den 60ern in der USA mit den TTL-Gattern eingeführten einfachen und übersichtlichen Schaltsymbolen wurden unlesbare, eierlegende Wollmilchsäue gemacht. Zum Schaden der Entwickler und der Industrie.
Noch heute sieht man die übersichtliche, runde, alte Darstellungsart z.B. bei Wikipedia unter "Volladder". Dort finden sich die gut lesbaren, alten Symbole, aber auch die nach DIN. (Ich brauche heute noch ein Handbuch, um diese Ungetüme deuten zu können.)
Betroffen waren tausende, schaffende Elektroniker und Elektromechaniker. Sowohl bei den Transistorschaltbildern, als auch bei den neuen Logikgattern gab es Beschwerden über Beschwerden als Leserbriefe an Elektronikzeitungen. Es passierte: Nichts. Die Minderheit in Normungsausschüssen pfiff auf die Mehrheit, die Betroffenen, denen man die Arbeit vergällt hatte.
Aber auch fehlende Normungen machen zu schaffen. So stürzte vor Jahren irgendeine Trägerrakete ab, weil ein Mißverständnis zwischen metrischen und US-amerikanischen Koordinaten nicht bemerkt wurde.
Bei der Schaltungsentwicklung leiden wir noch heute (2022) an einer fehlenden Normung der Längenmessung des Leiterplattenrasters. So werden im Datenblatt nahezu sämtlicher Bauelemente und Schaltkreise (IC) Maße metrisch angegeben in Millimetern, das Leiterplattenraster hingegen wird seit 60 Jahren noch immer in Inch (Zoll) gemessen (2,54 mm) - weltweit einheitlich.
Einzig in der DDR gab es eine zeitlang Leiterplatten mit metrischem Raster (2,5 mm). Wer glaubt, daß es sich um eine Kleinigkeit handelt, der irrt. Jeder Leiterplattenentwickler weltweit hantiert mit zölligen Leiterplatten und metrisch bemessenen Bauelementen und Gehäusen. Kein Wunder, wenn Befestigungslöcher in Leiterplatten nicht immer ganz genau mit denen im Gehäuse übereinstimmen, oder wenn Bedienelemente nicht genau im Gehäuse sitzen.
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Denken wir darüber nach, was hier falsch läuft.
Parallelen zu Gendersprech, zur Corona-Impfung oder zu Kohlendioxid oder einer angeblich genau prognostizierbaren Erderwärmung deuten sich an. Eine (einfluß-) reiche Minderheit zwingt der Mehrheit ihren Willen auf, egal ob dieser wissenschaftlich fundiert ist, oder eine bloße Annahme darstellt, deren Motivation im verborgenen liegt. Man behauptet einfach eine Wissenschaftlichkeit und treibt diese Annahmen mit viel Geld durch Politik und Medien in die Köpfe. Wissende Opponenten werden übertönt oder eliminiert.
Wollen wir schlimme Katastrophen in Zukunft vermeiden, dann haben wir unser Demokratieverständnis zu erweitern: Es darf nirgends möglich sein, daß eine winzige, unbeteiligte Minderheit einer betroffenen Mehrheit vorschreibt, was zu tun ist. Es gibt keinen Ersatz für Demokratie, Meinungsfreiheit und Marktwirtschaft.
Lösungsvorschläge habe ich nicht. Aber unsere Kinder und Enkel sollten vergleichbare Probleme wenigstens rechtzeitig erkennen können und nie in vorauseilendem Gehorsam handeln.
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Created 2023/02/23
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