Das Erste online
ORB







Globus
Globus
* Sendung vom 16. Mai 2001

 

Nächste Sendung
Letzte Sendung
Archiv
Service
Kontakt
Suche
*
Intelligente Werkstoffe

 
Adaptronik - intelligente Werkstoffe
Autor: Sascha Adamek

Ein Helikopter des Bundesgrenzschutz im Anflug. Solche Massen zu bewegen, produziert Lärm, doch wo genau entsteht der Krach in verschiedenen Verkehrsmitteln? Mit ihrer weltweit einzigartigen Akustikkamera geht ein Meßteam der Berliner Gesellschaft GFaI für GLOBUS dieser Frage nach - mit Hilfe von 36 sensiblen Mikrofonen und einem Computer. Das ausgewertete Helikopter-Bild zeigt: nicht nur der Helikoptermotor produziert Lärm - sondern auch die Rotorblätter.

Ein Pkw, 35 Stundenkilometer schnell auf holprigem Weg, der Lärm kommt aus dem Motor - denken wir - doch das Bild der Akkustikkamera belegt: die Geräusche kommen von Achsen und Rädern. 

Ein ICE, etwa 250 Stundenkilometer schnell - sein Geräusch diffus. Die Lärmkamera zeigt: vor allem das Fahrwerk produziert Lärm und - überraschend: auch der Stromabnehmer.

Dr. Gerd Heinz, GFaI:
"Natürlich produziert Geschwindigkeit Lärm, doch wir stellen immer wieder fest, daß sich Lärm an kleinen Details mindern oder beseitigen läßt. Porsche zum Beispiel hat mit uns die Geräusche und ihr Eindringen in die Fahrerkabine genau lokalisieren können, Liebherr ist dabei, mit uns u.a. den leisesten Bagger der Welt zu entwickeln."

Je schneller das Verkehrsmittel, desto stabiler müssen die Werkstoffe sein, doch gerade steife Materialien geraten durch Bewegung in Vibrationen - das mindert den Komfort und produziert Lärm. Hinzu kommen ein immenser Rohstoffverbrauch - und wegen des hohen Gewichts der Energieverbrauch. Unter dem Eindruck dieser negativen Begleiterscheinungen des technischen Fortschritts sind Wissenschaftler auch in Deutschland dabei, sogeannte intelligente Werkstoffe, auch smart materials genannt, zu entwickeln. Am Würzburger Fraunhofer Instut für Silicatforschung hat man so ein Material am weitesten entwickelt: piezokeramische Fasern. Die synthetisch hergestellten Fasern sind gerade mal ein Drittel so stark wie ein menschliches Haar, doch ihre Kraft ist enorm. Werden sie von einem Steuergerät aus unter Spannung gesetzt, verkürzen oder verlängern sie sich, wirken der Vibration entgegen wie bei diesem Versuch im Deutschen Institut für Luft und Raumfahrt. Das Wasser in der Petrischale bewegt sich wegen der Vibration, erst das Einschalten der Piezokeramik bewirkt den Stopp der Vibration.

Werden piezokeramische Stoffe in Flugzeugtragflächen oder Autochassis eingebaut, können sie die Oberflächenbeschaffenheit ganz nach Bedarf beeinflußen. Einen plötzlichen mechanischen Druck wandeln sie in elektrische Spannung um, die Information mit der dann ein Regler versorgt wird. Doch zugleich können sie reagieren. Schickt der Regler als Antwort eine andere Stromspannung, können sie sich zusammenziehen oder verlängern. Kurz: Piezokeramiken sind klein und intelligent: sie können agieren und reagieren zugleich. Die Forscher haben ihre neue Disziplin Adaptronik getauft, doch im Grunde orientieren sie sich schlicht an der Natur:

Dieter Sporn, Fraunhofer Institut f. Silicatforschung:
"Die Grundmotivation kann man sich in der Natur absehen, die biologischen Systeme sind mit Sensoren ausgestattet, also mit Nerven. Die Signale der Sensoren werden vom Gehirn verarbeitet und lösen motorische Aktuatorik Motorik aus, daß heißt Muskeln bewegen sich, daß heißt, biologische Systeme, auch der Mensch, passen sich dann an Umgebungsänderungen an."

Der Europäische Luft und Raumfahrtkonzern EADS im bayrischen Ottobrunn hat gemeinsam mit dem Hersteller Eurocopter und der Deutschen Luft und Raumfahrtagentur die Adaptronik bislang am weitesten entwickelt - gemeinsam mit dem Hersteller Eurocopter und der Deutschen Agentur für Luft-und Raumfahrt DLR:.

Dr. Willi Marin, EADS-Forschung:
"Es gibt hier von Flugplätzen Vorgaben, daß nur noch Flugzeuge landen dürfen, die einen bestimmten Schallpegel nicht überschreiten dürfen, bei Hubschraubern wird die gleiche Entwicklung kommen. Insofern ist es nicht nur eine Frage des Flugzeuge, leise Hubschrauber anbieten. Beim Hubschrauber ist es so, daß wir gerade im Anflugbereich ein sehr unangenehmes Geräusch haben, das wird von Insidern als Teppichklopfgeräusch bezeichnet, und wir arbeiten sehr intensiv daran, mit den Kollegen von Eurocopter und dem DLR um gerade dieses Geräusch wegzubekommen."

Um dieses Teppichklopfgeräusch der Rotorblätter auszuschalten, haben die EADS-Forscher eine Rotorklappe entwickelt. Die Klappe bewegt sich mit exakt der gleichen Frequenz im Rotor, unterdrückt aber durch ihre Gegenbewegung den Schall. In dieser Versuchsanlage werden mögliche Windwiderstände simuliert, auf diese reagiert ein piezokeramischen Stapelaktuator durch Ausdehnung. Damit treibt er punktgenau die Rotorklappe an. Vier solcher kleinen Stapelaktuatoren sollen in jedes Rotorblatt eingabaut werden - jeder ist stark genug unter einer Spannung von 600 Volt bis zu 100 Kilo Masse zu bewegen.

Dr. Willi Martin, EADS-Forschung:
"Wir haben beim Helikopter sehr extreme Anforderungen. Wir haben hohe Luftlasten beim Umlauf des Rotors, gleichzeitig haben wir extrem hohe Zentrifugalkräfte, etwa das tausendfache der Erdbeschleunigung. Dadurch brauchen wir Aktuatoren, die nicht nur leicht und kompakt, um sie in das Hubschrauberrotorblatt zu integrieren, sondern auch sehr starke Leistung bringen, um die Klappe ausreichend ausschlagen zu können."

Die Rotorklappe hat bereits erfolgreich Windkanaltests bestanden. Eine andere adaptronische Anwendung wurde bereits im Flugtest ausprobiert: die sogenannte Akustikstrebe. Dabei handelt es sich um eine piezokeramische Folie, die um jede Strebe zwischen Rotor und Hubschrauberkabine gelegt wird. Grund: für die Insassen von Hubschraubern ist besonders ein sehr hochfrequenter Ton nervtötend, dieser Körperschall wird durch die Aufhängungsstreben übertragen - und per Piezokeramischer Folie ausgeschaltet, wie dieser Test hörbar belegt.

Auch in der Autoindustrie beschäftigt man sich mittlerweile mit lärm- und treibstoffarmen Leichtbaumaterialien. Beispiel Volkswagen: wie andere Autohersteller auch, bemüht sich VW, Fahrgeräusche für Autofahrer gering zu halten. Doch längst zeichnet sich ab: mit passiven Lärmdämmungen sind kaum noch größere Erfolge zu erwarten. Deshalb wird gegenwärtig der Einbau von piezokeramischen Folien in das Dach des neuen Bora-Modells vorbereitet. Sechs 0,2 Millimeter dünne Piezo-Folien an neuralgischen Punkten werden dafür sorgen, daß sich der Körperschall des gesamten Fahrzeuges nicht länger über das vibrierende Autodach und damit auf die Insassen überträgt. Auf diese Weise können sich Hersteller auch leichtere Materialien leisten - die allerdings intelligent gesteuert werden:

Dieter Sporn, Fraunhofer Institut f. Silicatforschung:
"Wenn ich ein Leichtbauautodach adaptiv steuern weil, bedeutet daß, daß ich aus dem Dach über den Sensor ein Signal auslesen lasse. Der Regler, der die Informationsverarbeitung übernimmt, der muß auch die Sensorsignale auswerten könne und muß das adäquate Signal an den Aktuator geben, indem er genau die phasenverschobene aktuatorische Signalgebung realisieren kann und so kann man schon von einem Signalkreislauf und Informationskreislauf sprechen."

Auf schnelles Reagieren der intelligenten Werkstoffe kommt es besonders im Hochgeschwindigkeitsbereich an: Beispiel ICE. Der Hersteller Adtranz im brandenburgischen Hennigsdorf ist gleich an zwei Stellen mit adaptronischen Systemen. Zum einen sollen die lärmdominanten Fahrwerke des künftigen ICE 3 durch Stapelaktuatoren vibrationsärmer laufen, zum anderen weiß man auch bei Adranz um die Lärmproblematik der Stromabnehmer. Und auch hier ist die Lösung adaptronisch: 

Fedor Labrenz, Adtranz Forschung:
"Bislang sind die Stromabnehmer noch passive Systeme, mit den entsprechenden Reibungsverlusten, was Sie an den vielen Lichtbögen sehen. Die Stromabnehmer hängen noch vom Untergrund und Aerodynamik ab, reiben sich also sehr ungleichmäßig an der Leitung, was Lärm produziert und die Abnutzung erhöht. Deshalb haben wir einen piezokeramischen Stapelaktuator eingebaut, der den Stromabnehmer gleichmäßig unter niedrigem, also schonendem Druck an der Leitung hält."

Auch im Falle des ICE will man also unangenehme Geräusche bekämpfen, aber vor allem die Wirtschaftlichkeit erhöhen. Das hat im Fall von Verkehrsmitteln auch ökologische Vorteile. So schätzen die Experten der EADS, daß die für 2003 geplante adaptive Flugzeugtragfläche bis zu 6 Prozent Ersparnis an Flugbenzin bringt. Smarte Autos mit adaptiver Technologie werden, laut Expertenmeinung nochmals um ein Drittel leichter sein als heutzutage - das spart Ressourcen und führt sogar die die öffentliche Erregung über Benzinpreise ad absurdum:

Dieter Sporn, Fraunhofer Institut f. Silicatforschung:
"Aus meiner Sicht ist die aktuelle Debatte rein populistisch, wer sich technische Lösungen ansieht und weiß, was schon heute realistisch ist und was in Zukunft auf dem Markt erscheinen wird. Das sind Bauteile mit einer Vibrationsbekämpfung, die man im Betrieb machen kann. Dann ist die Debatte völlig gegenstandslos. Die Zukunft wird zeigen, man kann mit wesentlich leichteren Fahrzeugen, mit wesentlich geringerem Energieverbrauch auskommen können, ohne einen Verlust an Komfort erleiden zu müssen."

Dennoch, so intelligent Werkstoffe auch sein werden, Motoren werden immer Lärm produzieren. Und hier liegt es am Menschen adaptiv zu reagieren. Ein ICE mach unterm Strich nunmal weit weniger Krach als ein komfortabler Inlandflieger.

 
[zurück]