VI - Berliner Zeitung - Nummer 127           WISSENSCHAFT BERLIN          Mittwoch, 4.Juni 1997


Bilder aus der Welt des Schalls

Mit ihrer akustischen Kamera orten Berliner Forscher Lärmquellen in einer Maschine, nach denen die Konstrukteure vergeblich suchten

Von Michael Ochel

Diese Geräuschaufnahme eines Autos überrascht: Der Motor ist kaum an den Schallemissionen beteiligt. Vielmehr erzeugt der Vorschalldämpfer den meisten Lärm. Dieser wird zudem am Boden reflektiert. Gelb, Grün, Rot und Blau markieren in dieser Reihenfolge einen ansteigenden Schallpegel; Gelb zeigt die geringste, Blau die höchste Lautstärke an.
 


Wie Töne Gestalt gewinnen

Schallortung nach dem Vorbild des menschlichen Gehörs

Aus welcher Richtung Geräusche kommen, erkennt der Mensch mit Hilfe seiner Ohren und seines Gehirns. diesem Vorbild ist das Verfahren zur Erzeugung akustischer Bilder nachempfunden, das Berliner Forscher entwickelt haben. Damit können so komplizierte Schallmuster sichtbar gemacht werden.
Schallwellen erreichen in der Regel das eine Ohr etwas früher als das andere. Befindet sich zum Beispiel eine Schallwelle links vom Kopf, so treffen die wellen zuerst auf das linke und den Bruchteil einer Sekunde später auf das rechte Ohr. Aus diesem geringen zeitlichen Unterschied, der sogenannten Laufzeitdifferenz, errechnet das Gehirn, woher das Geräusch kommt. Befindet sich die Schallquelle genau in der Mitte, erreichen die Wellen beide Ohren gleichzeitig - ihre Laufzeitdifferenz ist gleich Null. Bei dem technischen Verfahren übernehmen Meßmikrofone die Funktion der Ohren. Sie wandeln den Schall in elektrische Signale um. Diese wertet ein Computer aus. Anders als das Gehirn, das alle Eindrücke in seinem komplizierten neuronalen Netzwerk gleichzeitig verarbeitet, geht der Rechner schrittweise vor: Um etwa herauszufinden, ob Schall aus der Mitte kommt, gibt er die Laufzeitdifferenz Null vor und prüft, ob die Mikrofone Signale ohne Laufzeitunterschied liefern. Ist dies der Fall, dann bedeutet das: Aus der Richtung dieses einen Punktes im Raum kommt Schall. Auf diese Weise "fragt" der Rechner die Mikrofone ständig nach Schallsignalen und registriert mit Hilfe der Laufzeitunterschiede die Richtungen, aus denen Geräusche kommen.
Bei dem Verfahren der Berliner werden die von einem Objekt abgestrahlten -Signale von 16 Mikrofonen aufgenommen. Nach der Computerbearbeitung erscheint das "Lauschergebnis" als akustische Karte auf dem Monitor. Unterschiedliche Schallpegel sind farblich gekennzeichnet. Die Kombination der akustischen Karte mit einem normalen Foto - in unserer Abbildung die Silhouette eines Autos - macht die Schallverteilung auf einen Blick deutlich.

Die Anlagen waren einfach zu laut, jahrelang hatten die Konstrukteure eines großen Unternehmens erfolglos an Transportbändern, Stößeln und Ventilen der Etikettiermaschine herumgeschraubt. Die Techniker kapitulierten: Es blieb ihnen verborgen, welche unter den vielen tausend Teilen den Lärm verursachten. Auch herkömmliche akustische Messungen führten nicht weiter. Dem Ingenieur Gerd Karl Heinz und seinen Kollegen von der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik e.V. (GFaI) war das tückische Objekt gerade recht, um ihr neues "Verfahren zur Erzeugung von Präzisionsbildern akustischer Laufzeitfelder durch Nutzung paralleler und serieller Interferenz (PSI)" zu erproben. Mit dieser Methode sei es weltweit erstmals möglich, die4 Lage komplizierter, räumlich ausgedehnter Schallquellen sichtbar zu machen, gewissermaßen zu fotografieren, erläutert Heinz. Ende 1993 habe er mit den Arbeiten an den theoretischen Grundlagen begonnen, "Details des Verfahrens wollen wir patentieren lassen", sagt er.
Auf der suche nach einem Testobjekt wandten sich die Forscher aus Berlin-Adlershof an verschiedene Firmen. Nicht wenige Unternehmen hätten Interesse an einer Zusammenarbeit gezeigt. Schließlich entschied man sich für die problematische Etikettiermaschine.

Heinz und seine Kollegen reisten daraufhin samt "Fotoausrüstung" zum Standort der lärmenden Maschine. Mit Hilfe der akustischen Fotografie fanden die Forscher binnen kurzer Zeit heraus, daß weder Stößel noch Gestänge die Ursache des unerwünschten Schallpegels der Maschine waren, sondern der Antriebsmotor sowie ein Lüfter, die sich an der Unterseite der Anlage befinden. "Der Lärm konnte danach gezielt reduziert werden."
Nur in dem schalltoten Raum eines Akustik-Labors hätten die Konstrukteure vielleicht noch eine Chance gehabt, die Ursache aufzuspüren. Große und tonnenschwere Anlagen, wie die Etikettiermaschine, lassen sich jedoch nicht in ein solches Labor verfrachten. Ein Vorteil der akustischen Kamera ist es, transportabel zu sein, auch wenn sie mit 1,1 mal 1,1 Meter Frontfläche beeindruckende Ausmaße hat. Die "Linse" der Kamera besteht aus einer Anordnung von 16 hochwertigen Meßmikrophonen. Ein Personalcomputer "entwickelt" die Aufnahmen, die auf einem Bildschirm betrachtet werden können. Eine normale Fotokamera liefert zusätzlich herkömmliche Bilder von den Objekten . Diese Aufnahmen werden später mit den Schall-Bildern kombiniert, um sie besser interpretieren zu können( siehe auch Info-Kasten).
Um ihr Verfahren zu erproben und zu optimieren, war den Erfindern jedes Meßobjekt recht. So stellten sie die akustische Kamera vor die geöffnete Motorhaube eines Autos. Sie rechneten damit, daß - "wie es in den Fachbüchern steht" - der Motor des Wagens die Hauptlärmquelle sei. Das akustische Foto zeigte jedoch ein eher ruhiges Aggregat. Stärkere Geräusche kamen dagegen aus dem Bereich des Vorschalldämpfers unter dem Fahrzeugboden. Überraschend laut war der Schall, der vom Straßenbelag direkt unterhalb des Dämpfers reflektiert wurde. "Schallabsorbierende Straßenbeläge" könnten solche Lärmreflexionen um die Hälfte reduzieren", folgert Gerd Karl Heinz. "Der Verkehr wäre dann so ruhig wie beim Fahren auf schneebedeckter Strecke". Freilich weiß der Ingenieur, daß man nicht alle Straßen erneuern kann. Die Schallwellen-Fotografie würde den Autokonstrukteuren aber detaillierte Hinweise liefern, wo sie an den Lärmquellen in den Autos selbst Abhilfe schaffen können.
Eine neue Version von PSI, die jetzt auch bewegte Bilder liefert, haben die Forscher in der vergangen Woche fertiggestellt. Bis zu 50 000 Einzelbilder pro Sekunde kann der Computer berechnen. Mit solchen Hochgeschwindigkeitsaufnahmen könnten Mechaniker in Automobilwerkstätten bei laufendem Motor jeden einzelnen Zylinder eines Verbrennungsmotors in jeder Phase ihrer Funktion analysieren. In kürzester Zeit ließe sich so ermitteln, ob ein Zylinder defekt oder nur die Zündung falsch eingestellt ist, hoffen die Adlershofer. 
Nach ihrer Ansicht steht nun eine Technologie zur Verfügung, mit der sich Techniker eine genaue Übersicht über die Schallemission komplizierter Objekte verschaffen können. von Nutzen könne das Verfahren überall dort sein, wo mit herkömmlichen Methoden nicht ermittelt werden kann, welche -Baugruppen oder Gehäuseteile von Maschinen und Anlagen Lärm verursachen. Nach den guten Erfahrungen mit dem Testprojekt "Etikettiermaschine" hat das Unternehmen sich nun mit einem noch kniffligeren Problem an die Adlershofer gewandt,. Die Firma könnte wesentlich mehr Briefverteilmaschinen exportieren, wenn es gelänge, anspruchsvollen Wünschen der Kunden nachzukommen: Diese fordern ein maximales Geräusch von 67 Dezibel, was dem Geräuschpegel einer Schreibmaschine entspricht. bislang sind die Maschinen aber noch so laut wie Motorrasenmäher. Gerd Karl Heinz und seine Kollegen sind zuversichtlich, daß sie helfen können. Zuvor müssen sie ihr Verfahren jedoch optimieren. So müsse die Anpassung der optischen an die akustischen Bilder noch genauer werden, räumen die Forscher ein. Sie wollen ihre Technik so weit verfeinern, daß sie Details im Bereich einiger Zentimeter erkennen können. In der Bilderwelt des Schalls wären das superscharfe Aufnahmen.


Weitere Informationen unter http://www.gheinz.de