Innovationen aus den Mitgliedsvereinigungen der AiF 1/2001
Mit den Augen hören
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Industrielle Gemeinschaftsforschung für die akustische Kamera
Das Auge: Hauptinformationskanal
Im Zuge der Evolution hat sich das Auge als der Hauptinformationskanal zwischen dem Menschen und seiner Umwelt entwickelt. Über 90 Prozent aller Informationen nehmen wir über die Augen auf. Entsprechend hochentwickelt ist die Informationsverarbeitung für die von der Oberfläche unserer Umgebung auf der Netzhaut erscheinenden Bilder. Unbewusst segmentieren, sortieren, zoomen, filtern, verknüpfen und bewerten wir die auf uns einströmenden Informationen. Ein großer Teil unseres Gehirns ist ständig mit der Verarbeitung der über das Auge eingehenden Signale beschäftigt. Die mit dem technologischen Fortschritt entstandenen Möglichkeiten haben dazu geführt, dass über das Auge nicht nur Bilder der realen Umgebung in das Gehirn eingegeben werden, sondern auch Schriften, Schemata und Bilder einer "Konserve" oder einer künstlichen Welt. Das begann mit der Entwicklung der Fotografie über den Film, das Fernsehen und die Videokamera bis hin zu den künstlich erzeugten Welten - der Virtual Reality - mittels Computer. Begriffe wie "anschaulich" oder "Anschauungsmaterial"
verdeutlichen das Bemühen des Menschen, auch nicht direkt sichtbare
Vorgänge oder Zusammenhänge über Umwege sichtbar zu machen,
damit sie über das Auge in unser Gehirn aufgenommen werden können.
Die Welle
Unser Sehen funktioniert nur bei Beleuchtung, das bedeutet, der zu identifizierende Gegenstand muss durch das natürliche Tageslicht oder eine künstliche Lichtquelle beleuchtet werden bzw. selbst leuchten. Physikalisch gesehen werden die von unserer Umgebung reflektierten oder abgestrahlten Lichtwellen durch die Linse im Auge so gebrochen, dass auf der Netzhaut eine Abbildung der Oberfläche entsteht, auf der das Licht reflektiert wurde. Da Schallwellen und Lichtwellen ein analoges physikalisches Verhalten besitzen, können sie mit ähnlichen mathematischen Formeln – den sogenannten Wellengleichungen – dargestellt werden. Dadurch besteht prinzipiell die Möglichkeit, das optische Abbildungsverfahren auch für Schallwellen zu nutzen. Dazu muss der Brechungsvorgang der Linse beim Licht durch eine mathematische Computerlinse für Schallwellen ersetzt werden, die mit einer begrenzten Anzahl von "Auffangpunkten" des Schalls in Form von Mikrofonen auskommt. Mit dieser Technik kann man ein akustisches Bild gewinnen und damit Schallinformationen - nicht über das Ohr oder als Messwert über das Auge - sondern in direkter Abbildung aufnehmen. Zur Normierung und Unterstützung des Auges wird das Schallbild auf ein "normal" fotografiertes Umrissbild überlagert. So kann es richtig in die Umgebung eingeordnet werden.
Die Geburtsstunde
Diese Ideen hat ein Forschungsteam in einer der Forschungsvereinigungen
der AiF, der in Berlin ansässigen Gesellschaft zur Förderung
angewandter Informatik (GFaI), unter Leitung von Dr. Gerd Heinz seit 1995,
der "Geburtsstunde" der akustischen Kamera, in die Tat umgesetzt.
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Die akustische Kamera dient der Lärmanalyse
von Maschinen. Mit ihrer Entwicklung schuf das Team um Heinz die neue Disziplin
der akustischen Foto- und Kinematografie und überführte sie in
den industriellen Einsatz. Dazu nimmt eine Videokamera das optische Bild
eines Gerätes auf, während gleichzeitig Mikrofone die aus dem
Motiv austretenden Schallwellen festhalten. Ein Computer fertigt ein farbiges
Bild des Schalls und legt es über das Foto. Über die so erzeugten
Schallbilder lassen sich Schadensursachen erkennen oder Hinweise für
Konstruktionsverbesserungen ableiten. Sie gestatten Aussagen über
die Dynamik von Maschinen im Hochgeschwindigkeitsbereich von bis zu 100.000
Bildern pro Sekunde und die Ortung unliebsamer Frequenzen. Bisher haben
die Forscher unter anderem die Berliner U-Bahn, elektrische Haushaltsgeräte,
Windkraftwerke, Chemieanlagen, eine Rheinbrücke, Flugzeugtriebwerke
und einen Sportwagen der Luxusklasse mit der akustischen Kamera analysiert.
Die Vorteile des Hörens
Die grundsätzlich neue Herangehensweise und Entwicklung befruchtet und ergänzt das Gebiet der Akustik. Gegenüber anderen akustischen Messverfahren hat die akustische Kamera eine ganze Reihe von Vorteilen. Diese liegen in erster Linie in der Anschaulichkeit der akustischen Abstrahlungsvorgänge und der Möglichkeit, hochaufgelöste "Filme" über zeitliche Verläufe der Schallabstrahlung zu gewinnen. Außerdem ermöglichen die mathematischen Verfahren ein relativ gutes Ausblenden von Störgeräuschen und einen recht großen Abstand von der Kamera zur Geräuschquelle. Die Industrie hat die Vorteile des Verfahrens, das mit Hilfe der industriellen Gemeinschaftsforschung weiterentwickelt werden konnte, sehr schnell erkannt. Ob Autoindustrie, Maschinenbau oder Anlagenbetreiber: vor allem mittelständische Unternehmen überhäufen die GFaI mit Aufträgen zur Schallmessung. Gar nicht zu reden von den Anfragen verzweifelter "Untermieter", die eine Analyse der Geräusche der seit kurzem über ihnen wohnenden Familie in Auftrag geben wollen.
Der Preisträger
Geburtshelfer" der akustischen Kamera ist der Preisträger des Otto von Guericke-Preises 2001: der 47-jährige Wissenschaftler Dr. Gerd Heinz mit seinem Forscherteam. Er meldete schon als Student in Dresden mit 22 Jahren sein erstes Patent an. Ab 1976 arbeitete er am Berliner Institut für Nachrichtentechnik an einem der ersten Mikrorechnersysteme in der DDR. Er entwarf den ersten integrierten Schaltkreis (IC) in der Berliner Region und den ersten Standardzell-IC in der DDR. Für seine Aufbauarbeit zur Einführung der Mikroelektronik in die Nachrichtentechnik erhielt er 1987 den Nationalpreis II.Klasse für Wissenschaft und Technik. Im selben Jahr promovierte er an der Berliner Humboldt-Universität. Bereits seit zehn Jahren gilt sein besonderes Interesse der Neuroinformatik. Er entwarf das Modell eines Interferenzkreises, der im Nervensystem zu beobachtende, spiegelverkehrte Abbildungen ebenso erklärt wie nervliche Datenadressierbarkeit und Redundanz. Auch seine Entwicklung der akustischen Kamera basiert auf den Untersuchungen zu Wellenfeldern auf Leitbahnsystemen, die den Nervenbahnen im Gehirn ähneln. Heinz hofft, mit seinem Wissen über Interferenzsysteme in Zukunft auch zur Erforschung von Nervenkrankheiten wie der multiplen Sklerose beitragen zu können.
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Wir
forschen gemeinsam.
Das zentrale Anliegen der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen "Otto von Guericke" e.V. (AiF) besteht in der Förderung von Forschung und Entwicklung zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU). Die AiF hat zu diesem Zweck seit ihrer Gründung im Jahr 1954 eine einzigartige Infrastruktur aufgebaut. Diese besteht aus einem industriegetragenen Innovationsnetzwerk, das Wirtschaft und Wissenschaft miteinander verzahnt und dabei partnerschaftlich mit dem Staat kooperiert. Es umfasst über 100 industrielle Forschungsvereinigungen mit etwa 50.000 Unternehmen, weit überwiegend KMU, rund 750 eingebundene Forschungsstellen sowie zwei Geschäftsstellen der AiF in Köln und Berlin. Die Geschäftsstellen der AiF bieten praxisnahe Innovationsberatung. Als Kompetenzzentrum für die mittelstandsbezogene FuE-Förderung setzt sich die AiF sowohl für die branchenweite industrielle Gemeinschaftsforschung als auch für firmenspezifische sowie fachhochschulorientierte Förderprogramme des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen ein. International engagiert sich die AiF für eine stärkere Beteiligung von KMU an den FuE-Maßnahmen der Europäischen Union (EU). Außerdem unterhält sie zahlreiche Kontaktstellen zur Unterstützung von Forschungskooperationen mit Partnern aus mittel- und osteuropäischen Ländern vor Ort. KMU sind aus eigener Kraft kaum in der Lage, Forschungsvorhaben zur Weiterentwicklung ihrer Leistungsfähigkeit zu finanzieren und durchzuführen. Im Rahmen der Forschungsvereinigungen der AiF, die entsprechend verschiedener Industriebranchen oder Technologiefelder aufgegliedert sind, können diese Unternehmen gemeinsame - und folglich vorwettbewerbliche - Forschung betreiben. Diese industrielle Gemeinschaftsforschung ist für die zahlreichen Branchen der mittelständischen Industrie ein wirksames Instrument zur laufenden Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Sie wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie unterstützt. Voraussetzung dieser öffentlichen Förderung ist ein industrielles Eigenengagement für Zwecke der Gemeinschaftsforschung in mindestens gleicher Höhe. Die Reihe "Innovationen" präsentiert in loser Folge Einblicke in die Arbeit der Mitgliedsvereinigungen der AiF. Herausgeber:
Text und Redaktion: Alexandra Dick
Weitere Informationen zum Thema dieser Ausgabe erhalten Sie über die folgende Mitgliedsvereinigung der AiF: Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik
e.V. (GfaI)
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