Maßstäbe, Magazin der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt PTB, Sept. 2001, S. 18-21

Die Form des Schalls

von Erika Schow
 
 

Einige wenige Menschen, Synästhetiker, können Töne wirklich sehen. Alle anderen sind auf die Bilder der Akustiker angewiesen. Ihre Messgeräte bilden die Welt des Schalls in ihren vielen Dimensionen ab – mit großer Präzision und in ungeahnter Schönheit.
 
 
 


(Foto: Zefa, Pütz)


 

Was ist Schall?

"It started with a kick". So etwa beginnen Football-Spiele – und so entstehen Töne: Irgend ein Körper bekommt einen Stoß. Dieser Stoß (oder Druck-Impuls) pflanzt sich fort – ähnlich wie in dem Spiel, in dem eine Kugel angestoßen wird und am anderen Ende eine Kugel herausschwingt. Der Impuls wandert durch den schwingenden Körper, geht auf die Luftmoleküle über, pflanzt sich weiter fort und landet schließlich (vielleicht) im menschlichen Ohr, wo das Trommelfell zu schwingen beginnt. Erst jetzt ist das Spiel zu Ende; nun wandert der Reiz als elektrisches Signal bis zum Gehirn. Aber etwas ist anders als beim Kugelspiel: Der Druck wandert nicht gleichmäßig durch den Raum, sondern schwillt an und ab. Diese Schwingung kann man als einen Wechsel von hohem und niedrigem Luftdruck darstellen. Folgen Wellenberg und Wellental ganz regelmäßig aufeinander, dann empfindet das menschliche Ohr einen Ton. Schwankt ihr Rhythmus unregelmäßig, dann stellt das Ohr ein Geräusch fest.
 

Akustische Einheiten der Tonhöhe
Frequenz (Hz): Die Anzahl Druckschwankungen oder Schwingungen pro Sekunde, angegeben in Hertz. Je mehr Schwingungen, desto höher der Ton. 
Wellenlänge (m): Schallwellen sind wie ein bewegtes Muster im Raum. Der Abstand zwischen zwei aufeinanderfolgenden Wellenbergen (Druckmaxima) ist eine Wellenlänge, die man in Metern (oder Teilen davon) angibt. Sie ist umso kürzer, je schneller die Wellenberge aufeinander folgen, d.h. je höher die Frequenz ist.

Akustische Einheiten der Lautstärke
Schalldruckpegel (dB): Schall ist eine regelmäßige Abfolge von Druckschwankungen, die als Wellen durch den Raum wandern. Je höher der Druck, desto lauter der Ton. Weil der Bereich von "gerade noch hörbar" bis "schmerzhaft laut" sehr groß ist, beschreibt man den Schalldruck mit einem logarithmischen Maßstab. Das Verhältnis eines bestimmten Schalldrucks zu einem Bezugswert wird in Dezibel (dB) angegeben. Man spricht dann vom Schalldruckpegel. In der physikalischen Forschung wird der Schalldruck auch in Pascal gemessen.
 


Lautstärke (Phon): Wie laut ein Mensch einen Ton empfindet, hängt von der Tonhöhe (und dem Schalldruckpegel des Tons) ab. Deswegen hat man eine weitere Einheit eingeführt: die Lautstärke in Phon. Bei einer einzigen Tonhöhe, einem Ton mit einer Frequenz von 1000 Hz, sind der dB- und der Phon-Wert gleich. Bei höheren oder tieferen Tönen braucht man entweder mehr oder weniger dB, um denselben Lautstärke-Eindruck hervorzurufen.

Einheiten in der physikalischen Forschung:
Schallschnelle (m/s): Geschwindigkeit, mit der sich die Luftteilchen um ihre Ruhelage bewegen. Schalldruck und Schallschnelle kennzeichnen zusammen das Schallfeld, das die zeitlichen und räumlichen Eigenschaften eines Schallvorgangs umfassend charakterisiert.
Schallleistung (Watt oder dB): Die Energie einer Schallquelle, die pro Zeiteinheit nach allen Seiten abgestrahlt wird.

Außerdem
Schallgeschwindigkeit (m/s): Fortpflanzungsgeschwindigkeit, mit der sich die Druckschwankungen durch die Luft (oder ein anderes Medium) ausbreiten. Ihr mittlerer Wert beträgt in Luft 340 m/s; das bedeutet, dass ein Zuhörer in 34 m Entfernung vom Konzertpodium den Schall mit einer Verspätung von 1/10 Sekunde hört.
 


Bereits beim wenige Zentimeter großen Fötus im Mutterleib sind die empfindlichen Organe des Innenohres genauso groß wie beim Erwachsenen. Ob sich der Embryo äußerlich richtig entwickelt, zeigen moderne Ultraschallgeräte in 3- oder sogar 4-D-Technik (die vierte Dimension ist die Zeit; man sieht also den Embryo während der Bewegung). Ultraschall ist ideal, um den Menschen schon so früh im Leben zu vermessen. Er durchdringt lebendes Gewebe, ohne (bei richtigem Einsatz) Schaden anzurichten. Außerdem lässt er sich ähnlich bündeln wie Licht und damit zur Ortung und Hinderniserkennung nutzen. Ob in der medizinischen Diagnostik, beim Sonar (Echolot) in der Schifffahrt, bei Fledermäusen und Delphinen – überall geht es darum, aus der Zeit, die ein Ultraschallsignal braucht, um vom Sender zum Hindernis zu gelangen, Abstände zu berechnen und so ein Bild von der Umgebung zu entwerfen.

(Foto: Kretztechnik Austria AG)
 


In der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig wird Schall sichtbar: ein Ultraschallfeld in Wasser, aufgenommen mit der so genannten Schlierentechnik. Das Labor "Ultraschall" gibt die Einheiten der Feldgröße von Ultraschallfeldern (Schallleistung in Watt und Schalldruck in Pascal) an alle interessierten Nutzer weiter. Das sind vor allem die Hersteller von Messgeräten, die ihre Geräte kalibrieren und prüfen lassen wollen.

(Foto: PTB)

Eine Luftblase in Wasser wird durch Ultraschall zum Schwingen gebracht – und fängt plötzlich an, weiß-bläuliches Licht abzugeben. Hier ist Schall in Licht umgewandelt worden. Das Phänomen der Sonolumineszenz zeigt, wie nah verwandt Ultraschall- und Lichtwellen sind – und ist ein kleines Wunder. Denn bei der Umwandlung muss eine ungeheure Energiebarriere überwunden werden. Wie das sein kann, untersucht Detlev Lohse von der Universität Twente in den Niederlanden. Mehr über die Blasendynamik zu wissen eröffnet faszinierende Möglichkeiten z.B. in der Sonochemie: Dabei werden in einer Flüssigkeit mit Hilfe von Ultraschall viele pulsierende Blasen gleichzeitig erzeugt. In ihnen können dann spezielle chemische Reaktionen ablaufen.

(Foto: Detlev Lohse und Rüdiger Tögel, Universität Twente)


 
 
Extrem hohe Töne, für den Menschen nicht zu hören, wohl aber für einige Tiere – das ist Ultraschall. Er beginnt knapp über der menschlichen Hörschwelle bei ca. 20 kHz und geht bis etwa 10 GHz hinauf. Hier kommt er sehr nahe an die Wellenlängen von Licht heran. Wegen dieser Ähnlichkeit ist Ultraschall für viele Anwendungen in Technik, Medizin und Chemie ausgesprochen interessant. 
Hörschall: Das menschliche Ohr hört Frequenzen von etwa 15 Hz bis ca. 20 kHz (die obere Grenze hängt vom Alter ab; sie sinkt, wenn wir älter werden). 440 Hz hat der Kammerton a’, der klassische Stimmton in Orchestern.
Infraschallwellen sind zu langsam für das menschliche Ohr: Unterhalb 16 Hz bis 20 Hz nehmen wir nur noch ein Brummen wahr. Aber vermutlich verständigen sich Elefanten und Flusspferde mittels Infraschall über weite Entfernungen hinweg. Und dem Menschen liefert Infraschall wertvolle Informationen über weit entfernte Ereignisse.

 
 

Horrorvision eines jeden Geigenbauers: Das Instrument ist fertig – doch einzelne Töne klingen scheußlich. Vielleicht kann jetzt moderne Messtechnik helfen. Mit dem Laser-Doppler-Verfahren lässt sich – über farbliche Codierung – sichtbar machen, welche Teile der Geige mit welcher Stärke (bzw. Amplitude) schwingen. Das Bild links zeigt die Schwingungsverteilung bei einer Frequenz von 431 Hz. So können die Akustiker herausfinden, ob womöglich ein akustischer Kurzschluss für den schlechten Klang verantwortlich ist.

(Abbildung: PTB)


 


Let‘s twist again – was sich hier so anmutig bewegt, ist eine Stimmgabel, dargestellt mit Hilfe der Modalanalyse. Links die Bewegung bei ihrer Grundstimmung 440 Hz, rechts der Tanz, den sie vollführt, wenn sie ausnahmsweise mit einem sehr harten Gegenstand angeschlagen wird und man einen der Obertöne (hier rund 7000 Hz) hört. Auf den Grundton kommt es an: Das Sonagramm (rechts) zeigt, dass sie bei 440 Hz am kräftigsten und auch am längsten schwingt. Denn eine Stimmgabel soll einen möglichst klaren Ton vorgeben, nach dem sich Orchestermusiker richten können – aber auch (beispielsweise) Techniker, die beim Auswuchten von Autoreifen einen festen Bezugston brauchen. Sie gehören zu den Kunden, die sich an die PTB wenden, um die Stimmung dieser Geräte exakt prüfen zu lassen.

(Abbildungen: PTB) 
 
 


Töne sichtbar zu machen ist auch das Prinzip der "akustischen Kamera", die Gerd Heinz von der Berliner Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik entwickelt hat. Eine Art "Linse" aus vielen kleinen Mikrophonen fängt den Schall auf und ein Computer berechnet daraus ein "akustisches Bild". Man kann es über ein "normal" fotografiertes Umrissbild legen und damit den Lärm sichtbar machen. Mit der akustischen Kamera lässt sich der Lärm der unterschiedlichsten Maschinen analysieren: von elektrischen Haushaltsgeräten, Motorrädern, Flugzeugen bis hin zu U-Bahn-Zügen.

(Fotos. Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik e.V.)



 


13. Mai 2000, etwa 13.30 Uhr:
Im niederländischen Enschede explodiert eine Feuerwerksfabrik. Etwa 30 Minuten später rattert der Schreiber eines Messgeräts auf dem bayerischen Sulzberg anders als sonst; für das Infraschallsignal (rechts oben) waren die 625 Kilometer zwischen den beiden Orten keine Entfernung. Die Wellen können den halben Erdball umrunden. Einmal registriert, lässt sich der Ort ihrer Entstehung bis auf wenige Kilometer genau ermitteln. Deswegen wird die Station, die von der Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe (BGR) in Hannover betrieben wird, mit in das weltweite Netz von Lauschanlagen aufgenommen werden, die im Dienste der Vereinten Nationen die Einhaltung des Atomwaffen-Sperrvertrages überwachen sollen.

(Abbildungen: Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe)



Nukleare Explosion, Muroroa, 27. Oktober 1995
x-Achse: Zeit 0...200 sec
y-Achse: Frequenz 0...100 Hz
 


Vulkanausbruch mit drei Eruptionen bei Hawaii, 22. Juli 1996
x-Achse: Zeit 0...200 sec
y-Achse: Frequenz 0...100 Hz
 


Seebeben nahe Japan. Bei ca. 20 Hz mischen sich noch andere Laute ins Bild; vermutlich haben hier einige Meeressäuger "mitgeredet".
x-Achse: Zeit 0...500 sec
y-Achse: Frequenz 0...100 Hz
 


Anderes Medium, gleiches Ziel: Auch in der Forschungsanstalt für Wasserschall und Geophysik in Kiel registrieren die Messgeräte jede unerlaubte Sprengung. Diesmal kommen die Schallwellen jedoch durchs Wasser. Töne vom Infraschall bis zu 200 Hz durchqueren in 1000 Metern Tiefe die Weltmeere. Auf den Grafiken sieht man einige der Ereignisse, die die Forscher auf diese Weise beobachten (Farbe entspricht der Intensität der Töne). Weil sich die Signale eines Atomtests deutlich von denen unterscheiden, die auf Erdbeben oder Vulkanausbrüche am Meeresgrund zurückgehen, werden auch die Kieler Forscher einen Platz in dem Netzwerk haben, das die UNO aufbaut. Zurzeit entwickeln sie eine Messstation, die unabhängig von jeder Kabelversorgung ist und an jeden beliebigen Ort im Ozean geschleppt werden kann.

(Abbildungen: Forschungsanstalt für Wasserschall und Geophysik)