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DER TAGESSPIEGEL FORSCHEN Nr. 19010 / Mittwoch, 9.November 2005
Krach im Bild
Die akustische Kamera spürt versteckte
Lärmquellen auf
Von Paul
Janositz
Es könnte moderne Kunst sein, das Bild an der Wand im Büro
von Gerd Heinz in Berlin-Adlershof. Doch es bildet Technik ab, einen mikroelektronischen
Schaltkreis, Glanzstück der Forschung aus DDR-Zeiten. Entworfen im Institut für
Nachrichtentechnik Berlin-Schöneweide. „Dafür gab es
den Nationalpreis“, sagt der 51-jährige Ingenieur, lässig gekleidet in
schwarzen Jeans und weißem T-Shirt.
Schall-Foto. Diese Aufnahme einer Propellermaschine zeigt, wo das Flugzeuggeräusch herkommt. Rot bedeutet viel Lärm, von Grün nach Blau wird es leiser. Foto: GFaI, Heinz
Spitzenforschung betreibt Heinz auch heute noch. Nicht umsonst ist er mit seinen
Kollegen Dirk Döbler und Swen Tilgner
für den Zukunftspreis des Bundespräsidenten nominiert worden. Das Team gehört
zur „Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik“, einer Firma mit rund
100 Mitarbeitern.
„Akustische Kamera“ heißt das Gerät, das es den Juroren angetan hat. Es geht
darum, Lärm sichtbar zu machen.
Die neue Technik hilft, leise Autos zu entwickeln, Flugzeuge zu beruhigen oder
Windkraftanlagen das Pfeifen abzugewöhnen. Auch bei Hausgeräten kommt es auf
den richtigen Ton an. So wurden Waschmaschinen, Kühlschränke, Bohrmaschinen
oder Staubsauger dem Adlershofer Akustik-Check unterzogen. Sogar elektrische
Zahnbürsten kamen dran. „Warum sollten die Schallbilder nicht eines Tages auch
ein Kriterium der Stiftung Warentest sein?“ überlegt Heinz.
Bei der in Adlershof entwickelten Technik werden Schallwellen mit drei Dutzend
hoch empfindlicher Mikrofone aufgenommen, per Datenrekorder gespeichert und vom
Computer in Farben umgewandelt. Da die ring-, stern- oder kugelförmig
angeordneten Schallsensoren in unterschiedlicher Entfernung zum Objekt
platziert sind, fangen sie die Schallwellen mit einem zeitlichen Unterschied
auf. Aus den Abweichungen wird das Bild des Lärms berechnet.
Das Knifflige ist die Software. Diffizile Algorithmen mussten vom
Software-Spezialisten Dirk Döbler umgesetzt werden,
um auszurechnen, woher wie viel Schall kommt – etwa wenn ein Automotor nicht
rund läuft. Dann zerlegen die Adlershofer Tüftler das Schallbild und färben es
ein. Rot bedeutet viel Lärm, von Grün nach Blau wird es immer leiser. Das
farbenfrohe Bild wird automatisch mit einem digitalen Foto des Objekts
überlagert. Nun erkennt man, welche Teile des Motors ungewöhnliche Geräusche
von sich geben, wo es klappert oder pfeift.
Oft kommt störender Lärm aus Quellen, an die man zunächst nicht gedacht hat.
Als etwa das Klappern eines Münzsortierers den Mitarbeitern von Bankfilialen
die Nerven raubte, konnte der Schallpegel durch drei kleine Änderungen auf ein
Drittel reduziert werden. 20 Dämmungen wurden überflüssig.
Auch durch Reflexionen am Boden nehmen Geräusche ungewöhnliche Formen an.
Solche Interpretationen können ziemlich schwierig sein. „Das erste Bild eines
Automotors hat mich zwei Wochen lang beschäftigt“, erzählt Heinz. Nicht der
Motor, sondern der darunter liegende Schalldämpfer machte den größten Lärm, das
war als Schallreflexion am Boden zu erkennen. Auch Flugzeugtriebwerke, ICE-Züge
oder Motorräder offenbarten ungewöhnliche Klangbilder, mit denen die 1990
gegründete Adlershofer Firma auf der Cebit-Messe in
Hannover 1997 erstmals Aufmerksamkeit erregte.
Auch schlafgestörten Großstadtbewohnern konnten die Lärmfilmer zu mehr Ruhe
verhelfen. Die neuen Niederflur-Straßenbahnen sahen zwar chic aus, waren aber
zu laut. Als Quelle entlarvte das Schallbild einzelne Drehgestelle; die
Übeltäter wurden ausgetauscht.
Trotz der vorzeigbaren Erfolge war die Vermarktung nicht leicht. „Produkte, die
noch nicht am Markt platziert sind, treffen zunächst auf große Skepsis“,
berichtet Heinz. Zudem kopierten Institute und Akustik-Hersteller die Idee, so
dass es einen richtigen Boom gegeben habe. „Aber wir waren immer einen kleinen
Schritt voraus.“ 2001 war das System marktreif, die Anfragen von Firmen häuften
sich. „Wir haben inzwischen etwa 40 Systeme verkauft, die Hälfte davon in
Deutschland“, sagt Heinz.
Vor allem die Automobilbranche und ihre mittelständischen Zulieferer haben
Interesse, profitieren sie doch enorm von der schnellen Fehlersuche. „Da werden
sonst seitenlange Dossiers geschrieben, aus denen man letztlich doch nicht
schlau wird“, erklärt Heinz. Die akustische Kamera offenbart dagegen sofort, wo
es nicht rund läuft. Und sie hilft Autos zu entwickeln, die außen und innen
lärmarm sind. Schließlich soll auch das Klavierkonzert aus dem Radio bei hoher
Geschwindigkeit nicht durch Fahrgeräusche übertönt werden.
Mittlerweile arbeiten 15 Ingenieure und Techniker an der Adlershofer
Lärmanalyse. Zudem sind Vertreter unterwegs, um die akustische Kamera weltweit,
auch in China, Korea oder Taiwan, zu vermarkten.
„Seit 2001 verdoppeln wir jährlich den Umsatz“, sagt Heinz. Die Umsetzung einer
innovativen Idee und die Schaffung von Arbeitsplätzen sind Kriterien für die
Vergabe des Zukunftspreises. Vielleicht steht ja das Team auf dem
Siegertreppchen, wenn der Bundespräsident an diesem Freitag die Entscheidung
verkündet.