ORB-Ozon
3.6.1998
21°° Uhr

Ozon - das Umweltmagazin

Die Themen:

  • Immer mehr Herzinfarkte durch Lärm - der läßt sich jetzt zum erstenmal fotografieren
  • Wieder eine Volksinitiative in der Schweiz, diesmal zur Gentechnik
  • Gelbe Tonne oder gelber Sack, wohin verschwindet, was alle vorher brav sortieren?

Sehr herzlich willkommen, liebe Zuschauer.
Schwarze Pumpe, ein klinisch reines Braunkohlenkraftwerk, gilt seit heute mit dem Kanzlerwort als Quantensprung im Umweltschutz. Das mag für Braunkohlenkraftwerke zutreffen - in denen aber nach wie vor unwiederbringlich Resourcen verbrannt werden. Immerhin- vergessen sind Dreck, Staub, der unglaubliche ostdeutsche Industriemief, es könnte also aufwärts gehen mit der Gesundheit - wären da nicht schon wieder andere, neue Gefahren: Lärm gehört inzwischen zu den gefährlichsten, aber immer noch unterschätzten Krankheitsursachen. Er zieht durchs Land bis in den letzten Winkel, allen voran LKWs aber auch PKWs und Motorräder. Noch bevor die Abgase das Klima killen, hat uns der Krach die Nerven getötet. Dauerangriff der Streßhormone Cortisol und Adrenalin auf Herz und Kreislauf, immer stärker auch nachts. Lärmschutz, etwa durch Verkehrsberuhigung, ist für viele Kommunen noch immer kein Thema oder schlicht zu teuer. Ein allgemeines Menschenrecht auf Stille - Utopie?
Abhilfe durch technische Lösungen, Umgehungsstraßen, leisere S-Bahnräder, beweglichere Fahrgestelle für Güterwaggons - neu ist, daß man Lärm nicht nur messen kann, sondern auch fotografieren. Täglich befahren mehr als 30000 Autos und LKWs die Ostberliner Brückenstraße. Soviel, wie nirgendwo sonst in der Hauptstadt. An diesem Knotenpunkt bringen Lärmforscher aus Adlershof ihre neue Kamera in Position, die Schallwellen fotografieren kann, mit der weltweit erstmals Lärmquellen zentimetergenau lokalisiert werden können. Noch wird getestet, noch ist man auf der Suche nach Anwendungsgebieten. Doch schon jetzt gibt es aufschlußreiche Erkenntnisse.

O-Ton Dr. Gerd Heinz, GFaI Berlin
"Wenn sie sich zum Beispiel das Profil eines Autoreifens ansehen, dann ist es getrimmt auf optimale Haftung und Straßenlage. Es ist aber wenig getrimmt darauf, Lärm zu vermeiden, dabei könnte man mit einfachen Designmaßnahmen erreichen, daß die Lärmemission sinkt."

Der für jede Stadt angelegte Lärmkatalog weist für die Brückenstraße eine enorme Schallemission auf. Tagsüber erreichen die Durchschnittswerte 80 dB, nachts immer noch 65 dB. Hier könnte die Kamera helfen, die schlimmsten Lärmquellen zu finden, denn gerade jetzt sucht das Umweltbundesamt verbündete im Kampf gegen den Krach. Seit wenigen Wochen läuft die weltweit größte Studie zur Lärmbekämpfung. 2000 Menschen sollen befragt werden über Ihre Wohn- und Arbeitsbedingungen. 1000 von ihnen, wie dieser Patient, leiden an akuten Herz- Kreislaufstörungen. Die deutsche Studie soll sensationelle Ergebnisse einer britischen Untersuchung aus dem vergangenen Jahr erhärten, 16 % aller Herz-Kreislauferkrankungen seien auf den Einfluß von Lärm zurückzuführen. Umso wichtiger eine Technologie, die Geräuschquellen schnell und exakt feststellen kann. Genau diese Lücke könnte die Lärmkamera füllen. Die Funktionsweise ist so überzeugend, wie einfach. 16 Meßmikrofone dienen sozusagen als Objektiv. Zentimetergenau lokalisiert diese Linse die tatsächlichen Lärmquellen. Zusätzlich nehmen die Forscher digitale Bilder von den geräuschverursachenden Objekten. Die optischen und akustischen Informationen werden dann in einem Computer gemixt und als farbiger Schallfilm wiedergegeben. Gelb, rot, grün und blau markieren die Schallemission. Rot und blau zeigen die stärksten Lärmbereiche an. Ob hier ein herkömmlicher Nadeldrucker oder ein geländegängiges Motorrad - die Ergebnisse sind verblüffend. Hier macht nicht der Motor, sondern der Auspuff den meisten Krach. Unerwarted: auch beim Auto ist nicht der Motor, sondern der Vorschalldämpfer die Hauptgeräuschquelle. Reflexionen verstärken die Schallquelle um nahezu 100%. Straßenlärm ist eine der gefährlichsten Bedrohungen der Gesundheit.

O-Ton Prof. Dr. August Schick, Lärmpsychologe, Universität Oldenburg:
"Wenn man Risikoanalysen macht, und die verschiedenen Umwelteinwirkungen hier in Europe miteinander vergleicht, dann sieht man, daß der Lärm eigentlich das schädlichste Umweltgift ist, das uns belastet. Mehr , als etwa die Abgase von Autos."

Über 16 Millionen in Deutschland sind heute gehörgeschädigt. Und rund die Hälfte aller Deutschen leben täglich mit einem Geräuschpegel von 65 bis 85 dB. Bereits bei 35 dB kommt es zu Schlafstörungen. Bei 55 dB wird die Konzentration schwierig und über 80 dB wird das Innenohr geschädigt. Bei Dauerbeschallung von über 70 dB erhöht sich das Herzinfarktrisiko drastisch.
Hier eine Bypass - Operation. Letztes Jahr starben allein in Deutschland 2000 Menschen an Herz- Kreislauferkrankungen, hervorgerufen durch Lärm: Tendenz steigend.
So sehen die Wissenschaftler als wichtigstes Ziel Gesundheitsschutz durch schnelle Lärmanalyse. An der Universität Oldenburg untersucht man die Wirkung von Lärm auf die menschliche Psyche. Getestet werden Konzentrations- und Reaktionsvermögen unter Einfluß von Lärm oder unangenehmer Geräusche auf die menschliche Psyche.
Die Probanden müssen sich Zahlen merken, die sie später in der richtigen Reihenfolge wiedergeben. Die Ergebnisse sind eindeutig. Ab einer Lautstärke von 50 dB, also weit weniger als der Straßenlärm, sinkt die Konzentrationsfähigkeit um nahezu die Hälfte ab.
Besonders bei Kindern hat der Dauerkrach lebenslange Folgen. Auch hier wäre ein Feld für die Lärmkamera, ob die Schule oder Disko die Ursache für manche schlechte Leistung ist. Doch vieles ist hausgemacht und auch ohne Kamera zu beeinflussen.

O-Ton Prof. Dr. Dieter Gottlob, Umweltbundesamt
Wir haben zum einen den Bürger selbst als Verursacher, denn er fährt ja selbst mit dem Auto, und zum anderen den Bürger als einen Betroffenen. Das führt häufig zu einer Konfliktsituation, daß er in seiner eigenen Wohnumgebung möglichst niedrige Pegel haben möchte und er andererseits ein Auto betreibt, und sich nicht seiner Rolle als Lärmverursacher bewußt ist.

Die Liste der staatlichen Lärmbekämpfungsmaßnahmen ist lang. Verkehrsentlastung durch Umleitungsstraßen, verkehrsberuhigte Zonen, Schallschutzwände und lärmmindernder Asphalt. Milliarden lassen sich Bund und Länder die Lärmsanierung kosten. Die akustische Kamera wäre eine preiswerte, schnelle und sichere Methode zur Aufdeckung von Lärmquellen. Noch sind die Forscher am Anfang. Doch schon haben Haushaltsgeräte- und Fahrzeughersteller ihr Interesse signalisiert. Die Messung an einem Flugzeug zum Beispiel zeigte, Schallreflexionen der Rollbahn verdoppeln den Düsenlärm. Auch die Berliner U-Bahn ist seit einem halben Jahr Partner.
In naher Zukunft soll aus dem 1x1 Meter großen Apparat eine handliche Kamera in Aktenkofferformat werden. Bleibt zu hoffen, daß den Forschern bis dahin nicht das Geld ausgeht.

Bericht : Joern Stiller
Kamera : Claudia Lorenz
Schnitt : Albrecht Schwimmer
Sprecher: Hellmuth Henneberg


Die 'Akustische Kamera' ist im Internet zu finden unter
http://www.gfai.de/www_open/perspg/heinz.htm
e-Mail heinz@gfai.de