Aufnahmen vom 30.6.1998 Akustische Kartierungen an Straßenbahnen der
Baureihen KT4D T6A/B6A und GT6
Messaufbau
Meßaufgabe
Im Auftrag der BVG konnten in der Langhansstrasse verschiedene Strassenbahnen aufgenommen werden. Hier mit freundlicher Genehmigung der BVG auszugsweise einige Ergebnisse dieser Untersuchung.
Ort: Langhansstr. 93, Fahrtrichtung Antonplatz, von links nach rechts.
Aussagen über Quellorte, Entstehungsmechanismen und spezifische Eigenschaften der Baureihen waren abzuleiten.Die Pausen zwischen den Aufnahmen wurden genutzt, um erste Abrollbilder vorbeifahrender PKW zu machen (Link).
Unterlagen und Hilfsmittel
- DIN 45635: Teil 1: Einheitliche Ermittlung des Beurteilungspegels für Geräuschimmisionen, Beuth 1977; Teil 2: Geräuschimmisionen am Arbeitsplatz, Beuth 1980; Teil 8: Körperschallmessung, Beuth 1986
- Heckl, M., Müller, H.A.: Taschenbuch der technischen Akustik. 2. Aufl., Springer 1985
- Fasold, W., u.a.: Taschenbuch Akustik. Verlag Technik Berlin, 1984
- Heinz, G., u.a.: Auszug aus dem GFaI-Jahresbericht 1996, Projektbericht PSI
- Höfs, S., Nguyen, T., Heinz, G.: Programmsystem für Parallele und Serielle Interferenzrekonstruktion PSI V.1.2 (WfW3.11/ Windows95) mit Help-Filesystem. GFaI-Berlin, 1994-1998. Siehe auch Homepage http://www.gheinz.de/index.html
- Akustische Kamera: siehe diesen Link.
Meßausrüstung
- Mikrofonarray 16 kanalig, Gitterabstand 0,3m orthogonal, bestückt mit Meßmikrofonen Gefell MK250, Kennempfindlichkeit 1/k = 1V ~ 0dB ~ 2.10-5 Pa, Zertifikate 0916 - 0919, 0921, 0923, 0925 - 0934. Um Reflexionen zu vermeiden, liegen die Mikrophonmembranen in der Ebene des Arrays. Das Array ist mit einer auf x,y = 0,0 zentrierenden Laser-Positioniereinrichtung versehen.
- 16-Kanal Vorverstärker, GFaI Berlin, stochastischer Fehler der Übertragungsfunktion kleiner 5%~0,4dB bei dB(C)-Bewertung. Dynamikbereich 0...145 dB, Frequenzbereich 0,5Hz bis 20kHz (+/-0,4dB).
- Portable PC III, PPM Inc. 1995, Pentium unter Windows '95 mit 16-Kanal, 12 Bit/50 kHz Analog-Digital-Wandler
- Software PSI-Tools V.1.2, GFaI Berlin, 1994-1998
Meßanordnung mit Laser-Positioniereinrichtung
Sofern nicht anders vermerkt, wird 16-kanalig mit 20kSps (Kilosamples per Second), 12bit und orthogonalem 4x4 Mikrophon-Array mit Grid 30cm aufgenommen und gerechnet.
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Abb.1: Meßaufbau
Abb.2: Meßanordnung, Draufsicht und Hinteransicht. Der Abstand a zwischen Meßobjekt (Schiene) und Mikrophonarray beträgt einheitlich 2,5 m. Die Laserlinie markiert die negative z-Achse
Ein projizierter Laserstrahl dient als Eichmarke für die Zuordnung des akustischen Bildes zum Foto. Die Bildgröße der zu entwickelnden akustischen Bilder wird durch Vermessung typischer Kanten ermittelt. Der Laser wird vor Meßbeginn und nach Meßabschluß mittels in den Laserstrahl gehaltenen Klicker kontrolliert. Die Abweichung des Laser-Leitstrahls von der idealen Mittelachse ist jeweils kleiner als 10 cm auf eine Entfernung von 4 m. Zwischen Referenz-Fotographie und Schallbild ist mit Maßabweichungen in der Größenordnung der Rasterauflösung des akustischen Bildes zu rechnen.
Aus technischen Gründen werden für die Interferenztransformation optimierte Meßabstände gewählt. Diese entsprechen i.a. nicht Empfehlungen nach DIN45635 [1].
Farbtabelle
Die Bilder sind zum Teil automatisch belichtet, dabei wird die Farbtabelle zwischen minimalen und maximalen Interferenzwert des Bildes gelegt, die Teilung der Farbskala ist in diesem Fall nicht ganzzahlig. Zum andern Teil sind die Bilder manuell belichtet, dabei werden obere und untere Grenze des Schallpegels manuell als dB-Wert vorgegeben.
Das Mikrofonarray wird mittels eines zentrisch angeordneten Laserstrahls positioniert. Dieser markiert die Position (x,y) =(0,0). Davon ausgehend wird die jeweilig zu bestimmende Fläche mittels Bandmaß eingemessen.
Bei allen Messungen wird eine einheitlich orientierte Farbtabelle angewandt. Alle Messungen werden mit logarithmischer Skalierung (dB) durchgeführt. Minimum ist blau, Maximum ist rot.
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Farbfolge in typischer Farbtabelle
Meßzeit contra Grenzfrequenz
Sofern nicht anders ausgewiesen, wird zur Entwicklung der Bilder über eine Meßzeit entsprechend reziproker, unterer Grenzfrequenz integriert (2000 Samples = 100ms). Für höchste Genauigkeitsanspruche ist minimal über die Reziproke der niedrigsten im Spektrogramm auftretenden Frequenz zu integrieren.Hard- und Softwarefilter
Aufnahmen der Kanaldaten erfolgen standardmäßig mit zweifachem RC-Hochpaß in Hardware mit je einer -3dB Frequenz von 10 Hz. Auswertungen erfolgen, sofern nicht anders vermerkt, im Tieefenbereich gehörrichtig mit dB(A) Filtersoftware 30/110/700 mit einer Genauigkeit von ca. +/- 0.1 dB. Die Kanaldaten sind von der Aufnahme kommend mit linearem Frequenzgang abgespeichert.Zur Meßmethode
Die Meßmethode basiert auf der an der GFaI entwickelten Interferenztransformation (HIT) von mehrfach parallel aufgenommenen Mikrofondaten in Erregungskarten, sog. Interferenzintegrale. Der Begriff Interferenzintegral ist eine mathematisch-physikalische Bezeichnung für das, was wir im Bereich der Optik als 'Fotografie' (eines Wellenraumes) bezeichnen. Grundlage der Interferenz-Transformation sind Laufzeitunterschiede einer Quelle zu verschieden positionierten Mikrofonen.
Aus dem an den Mikrofonen ankommenden Signalgemisch aller Quellen des Raumes werden mit der Interferenztransformation die Quellen extrahiert, die dem zu berechnenden Punkt im Bildfeld entsprechen. Demzufolge ergeben sich Unterschiede zwischen einem mittleren Effektivwert der Kanaldaten (Summe aller Emissionen im Raum) und den in den Bildern zu findenden Effektivwerten.
Als Maß der Abstrahlung, die ein Bild repräsentiert, ist dabei das Verhältnis zwischen Effektivwert der Kanaldaten und Effektivwerten im Bild aufschlußreich. Sind beide annähernd gleich, kann man davon ausgehen, daß alle 'Helligkeit' im Raum identisch der Bildhelligkeit ist, d.h. wir fotografieren eine starke Emissionsquelle im Vergleich zu allen anderen Quellen im Raum. Liegt der dB-Wert im Bild deutlich unter dem der Kanaldaten, stören u.U. andere, nicht im Bildfeld liegende Quellen. Diese Situation ist vergleichbar zu einer Fotographie eines Kellerlochs bei Sonnenschein: der Kontrast der Aufnahme läßt nach. Während der Belichtungsmesser (Kanaldaten) gleißende Helle anzeigt, ist auf dem Foto Schwärze zu erkennen.
Während herkömmliche, akustische Verfahren auf Basis von Intensitätsmikrofonen etwa mit dem Facettenauge eines Insekts 'sehen', sieht (besser 'hört') die akustische Kamera mit einer Art Linsenauge, wobei die eigentliche interferentielle Rekonstruktion des Wellenfeldes mit dem Computer realisiert wird.
Eine Besonderheit der gewählten interferentiellen Rekonstruktion besteht im Gegensatz zur interferentiellen Projektion z.B. optischer Systeme darin, daß wir mit dem PC zur Rekonstruktion der Schallbilder die Zeit rückwärts laufen lassen können. Damit entstehen nicht die Probleme achsfern abnehmender Tiefenschärfe, wie sie vom Fotoapparat bekannt sind. Auch besitzt die Methode diskreter Kanäle den Vorzug, daß die Mikrofone (im Gegensatz zur optischen Linse) an beliebigen Punkten des Raumes positioniert werden können. Das Mikrofonarray besitzt lediglich aus konstruktiven Gesichtspunkten eine planare Mikrofonanordnung.
Zur verbesserten Darstellung sind in verschiedenen Bildern die Projektionen der Mikrofonorte auf die jeweiligen Ergebnisfenster zu erkennen.Entfernungsabhängige Dämpfung
Flächige, steife Strahler (Dipole) können unter bestimmten Bedingungen ebene Wellen erzeugen. Im Gegensatz dazu erzeugen Kugelstrahler (Monopole) ein kugelförmiges Feld. Während die Intensität eines ebenen Feldes (z.B. Laser) über weite Bereiche entfernungsunabhängig konstant bleibt, sinkt die Intensität des Kugelfeldes viel stärker mit wachsender Entfernung. Da unbekannt ist, welche Strahlungscharakteristik ein bestimmtes Teil einer Maschine hat, sehen wir es als günstig an, keine entfernungsabhängige Intensitätskorrektur zu benutzen. Folglich werden mit der Schallbildkamera definierte Aufstellungsorte protokolliert, um Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erhalten. Ein näher am Array stehender Emittend wird im Bildfeld 'heller' leuchten, als ein weiter entfernter.dB-Bewertung
Die Aufnahmen werden mit kalibrierten Meßmikrofonen auf äquivalenten Schalldruck (Equivalent Noise Pressure - ENP) kartiert. Das ist der Schalldruck, den ein Meßmikrofon von einer Punktquelle bei identischer Entfernung im schalltoten Raum anzeigen würde.
Im Unterschied zum Effektivwertbild, welches die mittlere Schallemission darstellt, zeigt ein Maximumbild nur die Orte höchster Emissionen. Je instationärer der Lärm einer Quelle, desto stärker weichen beide Darstellungen i.a. voneinander ab.
Sofern nicht anders vermerkt, sind die folgenden Kartierungen mit dem Effektivwert nach dB(A) berechnet.
(Anm. 2023: Der verwendete Algorithmus zur Interferenzrekonstruktion wurde erst neun Jahre später veröffentlicht.)Wellenlänge und Auflösung
Arraygröße und detektierbare Wellenlänge sind physikalisch miteinander verknüpft. Bei optimaler Aufstellung des Arrrays ist sicher noch die Quelle einer Frequenz zu orten, deren Wellenlänge in der Dimension des maximalen Mikrofonabstands liegt. Mit der verwendeten Mikrofonanordnung ergibt sich eine Grenzfrequenz von etwa 300 Hz. Unterhalb dieser Grenzfrequenz werden die Bilder zunehmend kontrastärmer, da tieffrequente Gleichtaktsignale auf allen Kanälen zunehmend stören.
Dies äußert sich in immer geringer werdenden dB-Unterschieden in den Bildern sowie in großflächigen Undifferenziertheiten. Deshalb wird im Standardfall eine gehörrichtige dB(A)-Frequenzgangkorrektur genutzt, um brauchbare Interferenzintegrale zu erhalten. Zur Auflösung tieferer Frequenzen wären entsprechend größere Arrays zu verwenden. Prinzipbedingt kann allerdings auch dann nicht genauer geortet werden, als dies die Wellenlänge der Frequenz vorgibt.Zeitliche Auflösung bei Movies
In PSI-Tools wird zeitlich vorschreitend der Wellenraum rekonstruiert. Dadurch entstehen rückwärts laufende Wellenfelder trotz vorwärts laufender Zeit. Die Wellenfelder scheinen sich stets in das Mikrofonarray hineinzubewegen. Zur Beurteilung einer Abfolge von Ereignissen prüfe man den Abstand des Interferenzortes vom Zentrum des Mikrofonarrays.Einschränkungen
Bei der Betrachtung akustischer Bilder sollten mögliche Fehlermechanismen beachtet werden:
- die Maschinentiefe ist aufgrund einer Ebenenrekonstruktion i.a. nicht erfaßt, seitlich liegende Quellen erscheinen bei falscher Tiefeneinstellung diagonal versetzt;
- Abschattungen führen u.U. zu Scheinemissionen außerhalb des Bildfeldes;
- periodische Wellenfelder hoher Frequenz führen u.U. zu Scheinemissionen kleinerer Amplituden 'Aliasing' im Fernfeld;
- auf eine Kompensation des Druckstaus am reflexiven Array (max. ca. 6dB bei >5kHz) wird verzichtet, da dieser frequenz- und richtungsabhängig verschieden ist;
- eine abstandsabhängige Dämpfung des Luftschalls wird nicht kompensiert, da i.a. keine exakten Aussagen über Strahlertypen vorliegen;
- hohe, niederfrequente Wellen können den Bildeindruck stören. Bildkontraste verschwinden, die Differenzierung in dB verringert sich zunehmend;
- durch eine Begrenzung der Integrationszeit können Momentaufnahmen entstehen, deren Charakter wenig repräsentativ ist.
Auusgewählte Ergebnisse
Um Vergleichbarkeit zu garantieren, sind sämtliche Schallbilder auf eine identische Farbskala kartiert. Der Minimalwert (blau) liegt bei 80 dB(A), der Maximalwert (rotbraun) liegt bei 100 dB(A), jeder Farbwert umfasst zwei Dezibel. Bei Überlauf der Farbtabelle erscheint Schwarz.
Auszugsweise hier ausgewählte Ergebnisse der Analyse. Unter den Bildern sind zugehörige Klänge zu finden.
Zugaufnahme 1017, Wagen 1 voran. Reinhören?
Zugaufnahme 5125, Wagen 1 voran. Reinhören?
Zugaufnahme 6014, Wagen 1 voran. Reinhören?
Zugaufnahme 7083, Wagen 1 voran. Reinhören?
Zusammenfassung
Die Schallbilder eröffnen die Möglichkeit, Schallemissionen objektiv miteinander vergleichen zu können. Es wird deutlich, daß der Zug 1017 gegenüber den anderen drei Zügen deutlich mehr Lärm abstrahlt.
Der am schnellsten vorbeifahrende Zug 6014 verursachte überraschend die geringsten Emissionen.
Bei zusätzlichen Filmaufnahmen (nicht dargestellt) fiel auf, daß sich zwischen den in der Langhansstr. parallel stehenden Gebäuden eine länger anhaltende Resonanz einstellt. In den Bildern kann man die Resonanzen als Emissionen vor und hinter den Zügen erkennen.
Da es nicht möglich sein wird, diese Resonanz baulich zu beseitigen, wären andere Maßnahmen zu ergreifen, um den Lärm der Bahnen reduzieren zu können.
U.U. kann das Ergebnis in die Linienplanung einfließen, als auch bei der Wahl neu anzuschaffender Züge berücksichtigt werden.
Herzlichen Dank an die Initiatoren der BVG, Herrn Karsten Risch und Herrn Winfried Half für die Möglichkeit, die Aufnahmen und die Ergebnisse einem breiteren Publikum zugänglich machen zu können.
Dr. Gerd Heinz
e-Mail: info@gheinz.de
File created 7.7.1998
Layout enabled for smartphones; corrections and additional comments Nov. 12, 2023