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Akustische Leuchttürme


Immer wieder erhielt der Autor von Anwohnern im ferneren Umkreis von Windkraftanlagen Emails oder Post. Sie beklagten sich darüber, daß Geräusche dieser Anlagen zur psychischen Belastung werden können. Leider sind wissenschaftliche Erkenntnisse zum Phänomen kaum bekannt. Mit klassischen Mitteln der Akustik sind Nachweise kaum möglich. Aber der Leiter der "Taskforce Noise Reduction Program" eines bedeutenden Herstellers von Windkraftanlagen bat 2002 um Hilfe bei der Aufklärung der Phänomene und war bereit, die Kosten für Anfahrt, Hotel, Messungen und Auswertungen zu bezahlen. So erfolgten Messungen an Windrädern mit dem Ziel, deren Fernabstrahlung zu verstehen. Dabei kaum erstaunliches ans Licht.

Anwohner, die in der Nähe von Windrädern wohnten, hatten den Autor bereits mehrfach um Hilfe gerufen. Sie berichteten, daß sie sporadisch mitten in der Nacht vom "tieffrequenten" Lärm ferner Windkraftanlagen geweckt werden. Man hatte bereits einige Akustikbüros vor Ort, aber leider konnten diese nichts feststellen. Das Problem wurde zur psychischen Belastung für sie: Niemand wollte ihnen glauben. Letztlich wandten sie sich an uns. Der Zufall wollte es, daß das Problem auch bei einem großen Windkraft-Anlagenhersteller ankam, der die nicht vernachlässigbaren Kosten für die Untersuchungen übernahm.


Bild 1: Gemessen wurde mit einem ebenerdig aufgestellten Sternarray mit 30 Kanälen der alten Bauform auf einem ebenen Feld aus etwa 100 Metern Entfernung (Symbolbild G. Heinz).

Im Mai 2002 entstanden erste Schallaufnahmen von Windkraftanlagen aus großer Entfernung. Anfangs ohne Ergebnis. Aber der Zufall oder die Geduld meinten es gut mit dem Team. Irgendwann drehte langsam der Wind. Bis dahin hörte man alles mögliche, von brummenden Autos über fahrende Züge bis zu leisen Flugzeuggeräuschen, zirpenden Grillen und dem Rascheln des Grases im Wind. Größte Probleme machten die elektrischen Störungen des die Technik versorgenden Transverters. Es grenzt an ein Wunder, daß es mit einem steilen Bandpass (-24 dB/Octave) im Bereich zwischen 500 Hz und 5 kHz überhaupt möglich wurde, diese Bilder zu erhalten.

Zum Leuchtturmeffekt

Nachdem der Wind etwas gedreht hatte, und mit ihm das Windrad, wurde die Anlage hörbar. Bis dahin zeigte sich die Emission der Windräder im Bild kaum. Erst als die Flächennormalen abstrahlender Flächen in Richtung zum Sternarray der Akustischen Kamera zeigte, wurden Emissionsorte gut erkennbar, siehe Bild 2 und Film.




Bild 2 mit Film: Abstrahlung einer Windkraftanlage mit Schallfilm, gefiltert mit Bandpaß (-24dB/Octave 500 Hz bis 5 kHz). Die Kartierung des Schallfilms erfolgte auf ein Standbild. Der im Film zu hörende Klang wird von der Position des im Bild zu erkennenden, virtuellen Mikrofons wiedergegeben. Alle Aufnahmen vom 21. Mai 2002.




Filme 3: Der Leuchtturmeffekt ist auch auf diesen Aufnahmen schwach zu erkennen, obwohl die Flächennormalen der Flügel nicht in Richtung des Arrays zeigen. Die Aufnahmen wurden mit Bandpaß 1-4 kHz, -24 dB/Octave gefiltert, um die schwachen Emissionen darstellen zu können. Oben erkennt man, daß die Emissionen vom Wind leicht nach rechts verweht wurden. Unten haben sich die Windräder in günstigere Richtung gedreht.

Man erkennt: Nur Blattspitzen der einen Seite blinken. Man muß Glück haben: Steht das Blatt in einem definierten Winkel zur Windrichtung und zum Beobachter, bemerkt man, daß maximale Schallabstrahlung in Richtung der Flächennormalen erfolgt (in Bild 2 auf der linken Seite). Dies hat bei geeigneten Verhältnissen einen Leuchtturm-Effekt zur Folge: die Windkraftanlage scheint aus großer Entfernung in genau definierte Richtung der Flächennormalen (vorn und hinten) akustisch zu blinken.

Um den Abstrahlungsmechanismus besser verstehen zu können, sind im folgenden Bild die Abstrahlverhältnisse am Flügel eines Windrades skizziert.

Bild 4: Die Abstrahlrichtungen von Schall an der Spitze eines Flügels einer Windkraftanlage in der Draufsicht. Unter gegebenen Bedingungen sind zwei Abstrahlrichtungen (du und df) relevant.

Höchste Abstrahlung wird an der Unterseite des Flügels stattfinden. Aufgrund der stärkeren Flügelkrümmung der Oberseite wird die Abstrahlung dort geringer sein. Zu beiden Abstrahlungen mit der Schallgeschwindigkeit (v_beam) ist die Windgeschwindigkeit (v_wind) vektoriell zu addieren um die tatsächlichen Abstrahlungsrichtungen zu erhalten. Ändert sich nur die Windstärke, wird i.a. der Anstellwinkel (pitch angle β) nachgeregelt: Sofort verändern sich auch die Abstrahlrichtungen.

Unter der Annahme, alle Objekte befinden sich horizontal auf etwa gleicher Höhe ist zu erkennen, daß die resultierende Hauptabstrahlrichtung permanent variiert mit Windrichtung, Anstellwinkel des Flügels zur Rotationsachse sowie Windgeschwindigkeit.

Offenbar ist es nicht verwunderlich, daß beauftragte Akustiker bei Anwohnern keine Emissionen fanden: Es gehört wohl sehr viel Glück dazu, eine solche Emission vor Ort zufällig erfassen zu können.

Wird ein Flügel im laminaren Strömungsbereich betrieben, wäre er nahezu unhörbar. Kommt es durch Steuerung des Anstellwinkels (pitch) über 15 Grad zum Strömungsabriß auf der Oberseite des Blattes, entstehen Turbulenzen. Das Blatt wird beginnen, mit seinen Eigenresonanzen zu vibrieren. Es wird laut.

Betrieb in turbulenter Strömung scheint aber nach dem Betz'schen Gesetz der Standardfall des Betriebs von Windkraftanlagen zu sein, um deren Energieertrag zu maximieren. Dabei müssen Turbulenzen in Kauf genommen werden. Zu sich bildenden Turbulenzen bei Strömungsabriß auf der Oberseite einer Tragfläche siehe z.B. ein Bild in Wikipedia.

Man vergleiche dazu den Anstellwinkel (pitch angle) in Bild 4 mit den Fotos der Windkraftanlagen Bilder 2, 3 und 5. Man erkennt, daß die Anlagen im Turbulenzenbereich mit einem Anstellwinkel β nahe 90° betrieben werden.

Zu beachten wäre auch, daß die Windgeschwindigkeit mit steigender Höhe i.a. zunimmt. So ist es nicht verwunderlich, daß ein Flügel ganz oben mehr Schall abstrahlt als weiter unten.

Für Anwohner könnten sich die sporadisch auftretenden Emissionen so darstellen, daß sie mitten in der Nacht von einem im Flügeltakt periodisch wiederkehrenden Rauschen geweckt werden. Und sobald sich Windrichtung oder Windstärke ändern, ist der Spuk so urplötzlich vorbei, wie er kam.

Aber noch ist das alles nur eine Hypothese. Da heutzutage jeder ein Handy hat, könnte man das Geräusch aufnehmen. Dazu benötigt man nicht einmal eine Software für einen Datenrecorder. Die Aufnahmefunktion von WhatsApp könnte z.B. ausreichen. Sollte es Ihnen gelingen, solch ein urplötzlich vorhandenes Geräusch aufzunehmen, würde ich mich über eine Nachricht freuen!

Infraschall

Da man immer wieder von schädlichem Infraschall der Windräder hört, analysierte der Autor auf Wunsch eines Lesers die damaligen Aufnahmen nochmals im tieffrequenten Bereich. Leider ohne ein brauchbares Ergebnis. In den verfügbaren Aufnahmen von Windanlagen-Messungen sind zwar Infraschallanteile enthalten, allerdings können diese den Windrädern nicht bildlich zugeordnet werden, die Quellen des Infraschalls liegen außerhalb des Bildfeldes.


Bild 5: Aufname des Versuchsortes und Spektrum. Die Zeitfunktionen wurden mit Tiefpaß 50 Hz, -24dB/Octave gefiltert. Um den gefilterten wav-File zu hören, bitte das Foto anklicken. Leider kartiert der Infraschall in keiner der Aufnahmen auf das zugehörige Foto, er kommt von einer unbekannten Quelle außerhalb des Bildfeldes. Achtung: Mit dem Handy ist vom Infraschall absolut nichts zu hören. Zur Wiedergabe bitte eine analoge HiFi-Anlage benutzen und die Vibration des Tieftonlautsprechers beobachten!

Fazit

Mit den Untersuchungen und Filmen wird vermutlich klar, was das Problem ist. Es ist eine periodisch mit der Blattfrequenz wiederkehrende, relativ hochfrequente Schallabstrahlung im Bereich zwischen 1000 und 5000 Hertz, die als "Schallkeule" von jeder Blattspitze in Richtung ihrer Flächennormalen läuft. Bekanntlich ist die Relativgeschwindigkeit an den Blattspitzen am höchsten, damit erfolgt genau hier die stärkste Schallemission. Befindet sich ein betroffenes Gehöft kilometerweit entfernt von einem Windrad, dann wird man dort nur unter ganz speziellen Bedingungen das Windrad hören: Dazu müssen Windrichtung, horizontale Ausrichtung des Windrades und der Winkel zum Gehöft so sein, daß die Flächennormale genau in Richtung Gehöft zeigt. Zusätzlich aber ist noch die windrichtungsbedingte Abdrift des Schalls zu berücksichtigen.

Bei den ominösen Emissionen handelt es sich wahrscheinlich um tieffrequent mit der Schlagzahl der Flügel modulierten Schall im Bereich zwischen 1 und 5 kHz. Jedes Windrad wirkt damit in zwei ständig mit Windstärke und Windrichtung variierenden Richtungen wie ein Leuchtturm, nur daß es nicht optisch, sondern akustisch "blinkt".

Eine Zuordnung von Infraschall zu Emissionen der Windräder war nicht nachweisbar.

Die Vermutung liegt nahe, daß Laien die tieffrequente Modulation der hochfrequenten Schallabstrahlung des Windrades mit (wirklich tieffrequentem) Infraschall (tiefes Brummen) verwechseln könnten. Man höre sich dazu das Geräusch der Schallabstrahlung im Film (Filme 2 und 3) nochmals genauer an, und vergleiche es mit dem wav-File des Infraschalls unter Bild 4.
Aufnahmen: Dirk Döbler, Swen Tilgner 21. Mai 2002; Auswertung: Gerd Heinz Mai 2002; ständig ergänzt, Abschnitt zu Infraschall und Bild 4 mit Kommentaren eingefügt Dec. 2025.

G.Heinz