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Ediths Fliege

Mit den Jahren ließen Ediths Augen etwas nach. Zum Abbau des Augeninnendrucks (Gefahr der Ausbildung eines Glaukom) empfahl man eine Operation. Mit einem Laser werden dazu Löcher in den Zillarkörper geschossen, bei ihr waren wohl zwölf Löcher geschossen worden.

Bild 1: Aufbau des Auges. Quelle: Wikipedia.

Wie auch immer, muß dabei die Retina oder Netzhaut (diese trägt die Photorezeptoren) an einer Stelle vom Infrarot-Laser punktuell geschädigt worden sein.

Edith berichtete erheitert, daß sie in den ersten Tagen nach der Operation ständig von einer Fliege umkreist wurde. Schaute sie nach unten, saß die Fliege auf der Bluse. Schaute sie nach der Fliege, war diese schon wieder woanders. Gleich wohin sie schaute, saß die Fliege irgendwo anders. Ständig schwirrte die Fliege um sie herum. Nach etwa einer Woche hörte der Spuk dann auf, obwohl die Schädigung irreparabel ist, und die Fliege weiterhin herumschwirrt. Aber sie hatte sich daran gewöhnt.

Warum erscheint diese Geschichte interessant?

Die Fliege vermittelt uns einen Eindruck von der ununterbrochenen Bewegung des Augapfels. Permanent tasten die Augen die Umgebung ab. Merkwürdigerweise stört diese permanente Bewegung des Auges aber in keiner Weise unsere Wahrnehmung von einer "ruhenden Umgebung". Wenn wir uns im Zimmer umblicken, so erscheint alles um uns herum geordnet und ruhend: Mein Arbeitstisch steht felsenfest, darauf der Laptop. Die Stühle ruhen, die Wände und Schränke ruhen ebenso wie die Tür oder die Fenster, so ist mein Eindruck. Wir nehmen die permanente Bewegung unserer Augen in keiner Weise war!

Wie schafft es unser Nervensystem aber, dem visuellen Cortex (VC) Ruhe vorzutäuschen, wo doch unsere Augen permanent die Umgebung abtasten und sich bewegen? Und wie schafft es das Nervennetz, die ständig wechselnden Bilder jeweils an die richtige Stelle im VC zu projizieren?

Bild 2: Brodmannsche Areale mit primärem, visuellen Cortex V1 (gelb, rechts (hinten)). Quelle: Wikipedia.

Offenbar gibt es eine Projektion der (früher so genannten) "Sehstrahlung" von der Retina auf den visuellen Cortex, die einer optischen Linsenabbildung gleicht. Je nachdem, wohin das Auge blickt, wird dieses Bild in den visuellen Cortex projiziert. Wird die Retina oben erregt, entsteht das Bild unten und vice versa. Aus den Einzelbildern setzt der visuelle Cortex ein (wiederum spiegelverkehrtes) Rundum-Bild zusammen, welches viel größer ist, als das Bild, welches unmittelbar vom Auge erfaßt werden kann. Während das Auge vielleicht nur einen Öffnungswinkel von +/-15° hat, wird uns damit ein viel größerer Bildbereich zugänglich. Wenn auch unscharf, wissen wir doch, daß hinter uns vielleicht eine Tasse im Schrank fehlt.

Nun ist aber jedes Neuron in der Retina über Axonen und Dentriten exakt mit definierten Neuronen im visuellen Cortex verbunden. Wie soll nun ein Bild, was von immer denselben Retina-Neuronen kommt, einmal in diesem und einmal in jenem Bereich des visuellen Cortex landen? Wie muß ein Netzwerk beschaffen sein, um Informationen unabhängig von Leitbahnrichtungen zwischen Quelle und Ziel zu transportieren? Noch dazu, wenn jedes Neuron mit jedem irgendwie verbunden ist? Im Web ist das möglich, aber der Cortex kennt weder Internet-Protokoll noch PC.

Will man solcherlei Projektionen auf Nervenfasern verstehen (die offenbar schon von Descartes erahnt wurden, siehe Titelbild der Homepage), so kommt man nicht umhin, sich ein wenig intensiver mit Interferenznetzwerken und mit dieser Seite zu beschäftigen (Achtung, die Seite ist recht groß!).

Bild 3: (Rück-) projizierte Erregungskarte (Buchstabe "G") aus drei Zeitfunktionen in nervlicher Parametrierung . Man erkennt die Fremdinterferenzkarten (verstümmelte "G") rund um die Selbstinterferenzkarte (mittiges "G"). (Simulation um 1994/1995, weitere Beispiele).

Doch Vorsicht. Der Weg zur Erkenntnis ist steinig: Er führt über Eigenschaften von Zeitfunktionen, Wellen auf verzögernden Leitbahnen, diskrete Wellenfelder und deren Interferenzintegrale. Am Ende des Weges steht aber nicht nur der Gewinn eines Verständnisses der Grundprinzipien der Berechenbarkeit des Nervensystems. Auch steht dort der Gewinn, die Grundidee interferenzieller Projektionen in verschiedensten Wissenschaften wiederzufinden, bei nahezu allen Techniken, die unsere Gegenwart dominieren.

Gleich ob wir uns mit Wellenoptik, Akustik, Feldtheorie, Signalverarbeitung, künstlich-neuronalen Netzen, RADAR, SONAR, GPS, Antennentheorie, Nachrichtentechnik, Filtertheorie, logischen Schaltungen, State-Machines, Fuzzy-Nets oder akustischer Kamera beschäftigen: Interferenznetzwerke werden uns fortan den Weg zur Erkenntnis ebnen. Wir werden nicht mehr zehn verschiedene Formelsprachen erlernen müssen, sondern nur noch eine einzige. Und wir werden erkennen, daß sich viele Signalverarbeitungsprinzipien elegant auf Interferenzintegrale mit Zeitfunktionen reduzieren lassen.

Mit inzwischen historischen Simulationen wie mit der akustischen Kamera gelang es in den Neunzigern, erste solche Projektionen aus Zeitfunktionen heraus in der Simulation zu charakterisieren und darzustellen. Eine Verifikation an cortikal aufgenommenen Zeitfunktionen scheiterte damals am fehlenden experimentellen Setup. Wir fanden schlicht keinen Partner, der vier bis sechzehn Elektroden hätte an definierten Positionen im Cortex implantieren können (Nobelpreis adieu!). Schließlich aber wurde der entstandene Datenrecorder und die entstandene Software (PSI-Tools) genutzt, um (mehr aus Spaß) zwischen 1996 und 1998 erste akustische Bilder darzustellen. Die Elektroden wurden einfach gegen Mikrofone ausgetauscht. Zufällig stimmen nötige Abtastraten und Verstärkungen nahezu perfekt überein. Aber das ist eine andere Geschichte.

Natürlich gibt es einen noch viel trächtigeren Nachweis der geschilderten Bildzusammensetzung im visuellen Cortex, als Edith's Fliege: Unser Auge besitzt dort, wo der Sehnerv die Retina verläßt, keine Photorezeptoren (blinder Fleck). Haben Sie schon bemerkt, daß sie an einer Stelle im Sehfeld jedes Auges gar nichts sehen?

Weiterlesen?

Conference contributions, books (german/english)
Personal letters, reports, flashlights (german/english)
Presse und Fernsehen zu den akustischen Bildern und Filmen (german)




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