"Wenn Theorie auf Erfahrung warten sollte, käme sie nie zustande."
Friedrich von Hardenberg
Die Seite zeigt einfache Ideen zu Interferenznetzen, die über Laufzeitmessungen verifizierbar wären.
Die entscheidende Frage der Erkennbarkeit des Nervensystems ist die nach dessen Vernetzung. Wie stellen wir uns eine Verbindung zwischen miteinander kommunizierenden Einheiten vor? Als direkte Verbindung wie eine Leitung, die Klingelknopf und Klingel verbindet ("Klingeldrahtmodell")? Reduzieren wir diesen Gedanken, hieße das, jedes Neuron müsste potentiell in einem universell lernenden Nervennetz mit jedem anderen Neuron (von einigen Milliarden) eine Verbindung eingehen können. Wenn demzufolge angenommen werden muß, daß potentiell jedes Neuron mit jedem kommunikationsfähig sein muß, heißt das, jedes Neuron ist mit jedem zu verbinden. Dies wiederum hat zur Konsequenz, daß es in allen 100 Milliarden Neuronen klingelt, wenn auf einen Klingelknopf (erregtes Neuron) gedrückt wird. Mit Klingeldrahtmodellen jeglicher Art läßt sich das Gehirn folglich nicht beschreiben.
Wie aber dann?
Die neuronale Netzwerktheorie brachte seit den 40er Jahren einen neuen Ansatz hervor. Aus der Schwellwerttheorie ("Threshold Logic", Jan Lukasiewicz 1920, 1922) entstand die Idee, Neuronen nur zu (verbinden oder) zu erregen, wenn ein Schwellwert überschritten wird, der vom gleichzeitigen Feuer verschiedener Neuronen stammt. Damit ließen sich zumindest kleine, homogene, getaktete Netzwerke beschreiben.
Die Grenzen dieser Modelle aber werden erreicht, wenn Code- oder Geräuschverarbeitung gefragt ist, oder wenn Signale durch Kanäle laufen (chiasma opticum, homunculus).
Beziehen wir Ortskoordinaten und Verzögerungszeiten auf allen Pfaden mit in ein Modell ein, sind wir bei den Interferenznetzwerken. Wie aber soll Kommunikation geschehen? Natürlich über Interferenzintegrale, über relative Gleichzeitigkeit des Eintreffens von Pulsen. Relativ soll heißen, daß es gleichgültig ist, wann ein Puls irgendwo startete. Wichtig ist nur, daß er mit seinen Zwillingsbrüdern zusammen zeitgleich an einem Ziel ankommt. Dabei ist das Ziel ungewiß: es ist einzig durch die Gleichzeitigkeit definiert!
Das Eisenbahnnetz eignet sich als Denkmodell. Bahnhöfe stehen für Neuronen, Strecken für Leitbahnen, Züge für Pulse. Mögen am Berliner Hauptbahnhof Züge aus Frankfurt/Oder, Magdeburg, Rostock, Leipzig und Dresden ankommen. Damit Passagiere zwischen allen Zügen umsteigen können, wäre erforderlich, sie in Berlin exakt gleichzeitig ankommen zu lassen. Damit aber Züge in Berlin gleichzeitig ankommen können, müssen sie in den Ausgangsorten zu verschiedener Zeit losfahren, wenn wir voraussetzen, daß sie im allgemeinen unterschiedliche Fahrwege und -zeiten haben.
Orte hoher Interferenz (lokale Überlagerung vieler Wellenberge) bedingen ein sehr genaues, raum-zeitliches Timing der beteiligten Elementarwellen. Diese können von überall her kommen. Die Wellenberge müssen lediglich genau am Zielort gleichzeitig ankommen und aufeinander treffen. Wir begreifen plötzlich ein Nervennetz als die brillanteste, dezentrale Maschine des Universums. Auch begreifen wir, daß Interferenznetzwerke eine Gruppe komplizierter Netzwerke sind, die die Eigenschaft haben, gleich mehreren sendenden Neuronen entsprechende empfangende Neuronen zuzuordnen. Und wir begreifen, daß wir in deren Erkenntnis noch vollkommen am Anfang stehen. Netzwerke, die dies leisten, wollen wir projizierende oder Interferenznetze nennen.
Der Autor hatte das Glück, einige von ihnen zu entdecken.
Wird der Daumen elektrisch stimuliert, so läßt sich an zwei nichtinvasiv zugänglichen Nervenbahnen (N. radialis und N. medianus) der fortschreitende Impuls abgreifen. Der EEG-Averager ist auf mindestens 10-fach einzustellen, eine Schirmelektrode ist zwischen Stimulus- und Sensorelektroden anzuordnen, um Artefakte zu vermeiden.
Eine bloße Lageveränderung des Daumens sorgt dafür, daß die Zeitdifferenz des Eintreffens beider Impuls-Teile um etwa 0,5 Millisekunden variiert. Die Wellenfront des Impulses passiert mehr oder weniger schräg die Sensorelektroden. Im Bild ist sogar eine Vorzeichenumkehr der Wellenfront bei nach innen gerichtetem Daumen zu beobachten. Im rechten Bildteil sind mit der Daumenstellung variierende Kartierungen auf einem hypothetischen Empfangsfeld dargestellt.
Bild: Daumenexperiment, G. Heinz, 1992
Ein Einführungsexperiment des Autors, gemessen mit einem Elektroenzephalographiegerät (EEG). Die Stimulation des Daumens durch Ringelektroden und die Aufzeichnung zweier Nerven (n.radialis und n.medianus) zeigt die Entstehung von Partialimpulsen in Abhängigkeit von der Stellung des Daumens. Zwischen dem Daumen und Sensorelektroden ist eine abschirmende Elektrode (Ring) zu setzen, um Artefakte zu vermeiden. Einstellung für den Averager: Mittelwertbildung mindestens 10-fach.
Wird die Daumenposition verändert, ändert sich die Verzögerungsdifferenz zwischen den Sensorelektroden. Die Wellenfront verläuft mehr oder weniger diagonal an den Sensorelektroden. Wenn wir annehmen, daß an anderer Stelle (Medulla spinalis, Ganglion spinalis...) Neuronen in einem realen Abstand (s) im Schaltkreis liegen, können wir die Eigenschaften dieses Interferenzkreises mit realen Geschwindigkeiten berechnen. Die Nervenleitung kann recht schnell sein, allerdings nur an den Übertragungsadern (v, w).
Nehmen wir an, daß es an einem anderen Ort (Medulla spinalis?) einen gegenläufigen Interferenzkreis (siehe Abbildung) gibt, dann können dort in Abhängigkeit von der Daumenstellung um einen Abstand s voneinander entfernte, verschiedene Neuronen erregt werden (Neuron x bzw. Neuron y).
Dieser einfache Interferenzkreis zeigt bereits eine gespiegelte Projektion (Rot zu Rot, Blau zu Blau) (Messung vom 16.12.1992, Landesklinik Teupitz; Dr. Gerd Heinz/Dr. Torsten Griepentrog). Weihnachten 1992 war das schlafloseste Fest meines Lebens. Jetzt mussten die Gedanken "nur noch" sortiert nd niedergeschrieben werden.
Abb.: Kommunikationsprinzip eines Interferenznetzwerks nervlicher Art nach Heinz (beim Anklicken des Bildes öffnet sich eine animierte Powerpoint Darstellung)
Diesen einfachsten, monomedialen Interferenzkreis zeigte 1993 das Titelbild des Manuskripts Neuronale Interferenzen. Ein sendender Raum interferiere über Axonen A und A' mit einem Empfangsraum. Neuron P möge einen Puls in das Netzwerk senden. An der Stelle P', an der beide Pulse gleichzeitig ankommen, entsteht ein überdurchschnittlich hoher Wert des Interferenzintegrals, dort ist Gleichzeitigkeit vorhanden und nur dort entsteht neue Erregung. Vergleichbar zu einer optischen Linsenprojektion entsteht ein spiegelverkehrtes Bild vom sendendem Raum im Empfangsraum - eine Projektion optischer Art entsteht.
Stellt man sich die Räume größer vor, so wäre erkennbar, daß die Zeichnung für sämtliche ausfächernden Projektionsbahnen des Nervensystems - auf- wie absteigende stehen kann.
Bemerkenswert ist, daß Erregung vom Ort P an einen Ort P' immer nur spiegelbildlich weitergegeben werden kann - aus einer Bildvorlage P wird ein spiegelverkehrtes Abbild P' - wie in der Optik. An der Animation (hinter dem Bild) wird klar, daß Sende- und Empfangsorte im Interferenzmodell einzig und allein über Laufzeiteigenschaften (delays) des verbindenden Netzwerkes definiert sind - nicht aber über die Art und Weise der Verkabelung. Eine Kreuzung ist beim Sehnerv ebensowenig erforderlich wie in der Pyramidenbahn. Sie können vorhanden sein, haben aber kaum Einfluß auf die Art entstehender Abbildungen.
Eine Besonderheit aller Interferenzabbildungen besteht in deren zusammenhängender (reißfester) Projektion, siehe z.B. eine Simulation überlagerter Interferenzkarten in nervlicher Parametrisierung. Aus dem Nervensystem sind ausschließlich spiegelnde, somatotopische Abbildungen dieser Art bekannt. Vom Dermatom ist der sog. Fasertausch bekannt: Ein Dermatom wird stets von mehreren Nerven innerviert. Selbst das autonome Gebiet ist nicht autonom. Es zeigt mindestens in einer Richtung eine Überlagerung verschiedener Nervenfasern. All dies sind ganz klare Indizien für die Funktion des Nervensystems als Interferenznetzwerk: Das Nervennetz ist nur interferenziell begreifbar und berechenbar.
Akzeptieren wir die reale Existenz niedriger Leitgeschwindigkeiten, endlicher Laufzeiten und geometrisch (λ = v*t) kurzer Pulsnadeln in Nervennetzen und akzeptieren wir mehrfach parallele Übertragungsmöglichkeit von Pulsen, dann haben wir auch anzuerkennen, daß Kommunikation zwischen zwei Neuronen umso effizienter wird, je präziser ankommende Partialwellen aufeinander treffen (miteinander interferieren).
Selektivität eines Neurons hat dabei etwas mit einer äußerst penibel abgestimmten Laufzeit-Architektur zu tun: Bevor Hebb'sche Gewichte erlernbar sind, müssen die Delays stimmen, muß ein sauber abgestimmter Interferenzkreis existieren, damit das betreffende Neuron überhaupt adressiert werden kann! Über die Dicke und Länge einer Faser ist z.B. ein Teil-Delay auf maximale Erregung des Neurons abstimmbar.
Wie aber können wir diese Dinge mathematisch fassen?
Betrachten wir dazu ein elementarstes Verknüpfungsnetzwerk bestehend aus zwei Neuronen sowie einigen verzögernden Fasern. Zunächst wollen wir einen simplen Puls mit maximaler Effiziens zwischen beiden Neuronen transportieren.
Bild: Zur mathematisch-physikalischen Beschreibung eines Interferenzkreises
Wir spalten das Gebilde in drei Teile auf:
Multiplizieren wir z.B. die Zeitfunktionen in P' Sample für Sample miteinander (Faltung), dann wird schnell klar, daß die Laufzeiten der einzelnen Pfade identisch groß sein müssen, wenn wir keine Zeitfunktion aus Nullen erhalten möchten, falls eine der Zeitfunktionen Null wird:
(1) PA + AA' + A'P' = PB + BB' + B'P' = ... = PD + DD' + D'P'
in Vektornotation gilt dann:
(2) M + L + M* = T (Abbildungsbedingung)
Folglich hängen die drei Masken untrennbar zusammen.
Das empfangende Neuron erhält die eingangsseitige Zeitfunktion nur dann identisch am Ausgang, wenn dessen Delaymaske die Bedingung aus (2) erfüllt
(3) M* = T - M - L (mit T = const.)
Neuron P' wird nur dann maximal von P erregt, wenn es eine geeignete Delaymaske M* ausgebildet hat.
Erfüllt die Maske M nicht Bedingung (3), gilt also die Ungleichung
(4) M* ≠ T - M - L
und setzen wir additive Verknüpfung bei geeignetem Schwellwert in OR-Form voraus, erzeugt ein einzelner Puls am Eingang eine Pulsfolge am Ausgang. Neurologen nennen solche kurzen Pulsfolgen auch Bursts.
Wird das Bias sehr hoch gewählt (multiplikativer AND-Typ), so reagiert die Schaltung nicht auf Einzelimpulse. Statt dessen detektiert sie eine Impulsgruppe mit der Delaymaske M*, siehe Bursts.
Finden wir Nervenzellen, deren Verzögerungsvektoren dem Zusammenhang
(5) M + L + M* = const. = T mit T = τ {1}, ({1} ist die Einheitsmatrix)
genügen, so sendet die eine einen Burst y(t) aus, den nur die andere empfangen kann, und den sie zu einem Einzelimpuls z(t) zurückverwandelt. Senden mehrere Nervenzellen, die unterschiedliche Verzögerungsvektoren besitzen, auf eine gemeinsame Übertragungsleitung, und existieren auf der Empfangsseite Nervenzellen, deren jede nur einen spezifischen Burst selektieren kann, so finden wir ein Übertragungsprinzip, daß die Übertragung verschiedener Datenströme auf einer gemeinsamen Leitung erklären kann. Dieses Prinzip soll 'Datenadressierung' genannt werden.
Dasselbe Prinzip verhindert nun ein Überspringen von Erregung zwischen benachbarten Neuronen. Besitzen inkremental sehr eng benachbarte Neuronen Verbindungsstellen sowie identische Struktur, so besitzen sie denselben Verzögerungsvektor M.
Da für eine Adressierung aber M + 0 + M* = T erfüllt sein muß (L verschwindet) und folglich M* = T - M gilt, die geometrische Struktur allerdings M* = M fordert, gibt es für M und M* neben der Triviallösung Null nur eine sinnvolle Lösung:
(6) M* = M = T/2 = τ/2 {1},
die in gröbster Näherung bedeutet, daß die Koppelsynapsen beider Neurone kreisförmig im Radius r = v τ/2 um das Soma herum angeordnet sein müssen (Leitgeschwindigkeit v). Wir nehmen dazu an, die Soma der Neuronen befinden sich sehr eng beeinander.
Somit erklärt dieses Prinzip auf Grundlage von Delays, unabhängig von z.B. inhibitorisch wirkenden Synapsenstärken, eine dynamisch wirkende Nachbarschaftsinhibition. Man könnte sagen, die Erregung springt von ihrer dynamischen Natur aus nicht gern zwischen zwei identischen, an gleiche Ortsknoten zusammengeschlossenen Neuronen über - was eine äußerst vorteilhafte Eigenschaft von Nervennetzen zu sein scheint.
Besitzt das detektierende Neuron zusätzlich eine integrierende Eigenschaft, so kann ein detektierter Burst zu einer Potentialanhebung führen. Wir nennen diese Eigenschaft Pegelgenerierung. Ist die integrierende Wirkung stark genug, so können auf diese Weise gleitende Hintergrundpotentiale geschaffen werden, die ihrerseits wieder benötigt werden, um Zooming- oder Movement zu steuern. Es ist anzunehmen, wir messen genau diese Steuerpotentiale im EEG. Eigene EEG-Experimente (siehe dort) erbrachten unzureichende, interferenzielle Rekonstruierbarkeit, dies würde dazu passen.
Zusammenfassung
Es ergeben sich Gesetze, die in gewisser Weise als eine Erweiterung von McCulloch/Pitts um Hebb's rule und Jeffress Interferenzkreis aufzufassen sind.
Als dynamisch wirkende, neuronale Elementarfunktionen können wir am elementaren Interferenzkreis beobachten:
Die einzelnen Eigenschaften werden erstmals im Manuskript [NI93] erwähnt. Sie konnten in der Simulation bestätigt werden mit dem Simulator 'Neuronet' an der FHTW Berlin am 20.10.1994 (Peter Puschmann, Gunnar Schoel, Gerd Heinz), siehe VirEx, 17. Experiment. Aufbauend darauf lasssen sich komplexe Eigenschaften von Interferenznetzen erkunden. Die wesentlichsten sind:
Dem nicht sensibilisierten Beobachter mögen Pulsfolgen als stochastische Dichtecodierungen erscheinen. Indes deuten Codegenerierung und Codedetektion an, daß sie deterministisch eine Information codieren. Ein Burst M wird nur gehört vom dem Neuron, welches die passende Empfangsmaske M* besitzt. Damit kann eine einzige Leitbahn verschiedene Informationskanäle ("Klingelleitungen") tragen, siehe Abb.2c).
Bild 1: Codegenerierung und Codedetektion an zwei verkoppelten Neuronen. Ein ankommender Einzelimpuls (links) erzeugt mit der Maske M einen Burst (mittig), dieser wird nur durch die zu M negierte Maske M* = T - M in einen Einzelimpuls zurückgewandelt (rechts).
Bild 2: a) Ersatzschaltung einer Koppelstelle b) zweier Neuronen; c) Beispielverschaltung mehrerer Neuronen; d) erzeugter Burst.
Zur Funktion: Die Neuronen 1 bis 3 mögen verschiedene Masken (Verzögerungsvektoren) M1 bis M3 besitzen. Dazu mögen paarweise inverse Vektoren M1* bis M3* existieren. Dann springt (abgesehen von nicht betrachteten, möglichen Permutationen) die Erregung i.a. nur von M1 auf M1*, von M2 auf M2* und von M3 auf M3* über und visa versa.
Über die synaptische, neuronale Kopplung hinausgehend, die Gegenstand des Neurocomputing ist, spielen zeitliche Relationen bei pulsartiger Signalausbreitung im Nervensystem eine entscheidende Rolle. Die Gleichzeitigkeit des Ankommens von Impulsen entscheidet die Erregbarkeit eines Neurons.
Wir entdecken, daß nur durch die Beachtung von Verzögerungszeiten neue, neuronale Grundfunktionen entstehen (siehe auch [NI93]). Milliarden Jahre, bevor Zeitmultiplex (TDM) vom Menschen erfunden wurde, erfand die Natur bereits Bursts als stochastisches Multiplex-Verfahren: An M1, M2 und M3 (Bild 2c) können nun Klingelknöpfe angeschlossen werden, während an M1*, M2* und M3* Klingeln angeschlossen werden können. Wird z.B. M1 gedrückt, klingelt es nur bei M1* usw..
Bild: Interferenzmodell der Echo-Weltmodellierung einer Fledermaus
Vereinfachtes Modell zur Entfernungsbestimmung mittels Echo. Ein Generatorneuron N erzeugt eine Erregung, die sich auf zwei Wegen ausbreitet: Ein Teil erregt einen Schallgeber (Stimme) G, der andere Teil (rot) wandert langsam mit der Geschwindigkeit v2 radial um den Schallsensor (Ohr) D. Sobald das Echo wieder bei D eintrifft, breitet sich eine Erregung mit v1 zirkular aus. Der Ort der Interferenz korreliert dann mit der Entfernung. Wir erhalten eine Interferenzkarte der Außenwelt entlang der radial verlaufenden Fasern (sollte sich an Fledermäusen, Delphinen oder Walen nachweisen lassen).
Der Wal sendet z.B. Impulsgruppen im 128 Sekunden-Rhytmus aus, um seine Umgebung zu kartieren, dies entspricht einer interferentiell kartierbaren Weglänge von etwa 1/2 * 1500 m/s * 128 s = 96 km.
Bild: Mark Konishi's* Modell der Schallortung frei nach Lloyd A. Jeffress 1948. (Historisch der erste, intermediale Interferenzkreis). Wir bemerken, daß die (in diesem Fall eindimensionale) Erregungskartierung des Generator-Raumes spiegelverkehrt zur Kartierung des Detektorraumes auftritt. Ein weiter rechtsliegendes Geräusch wird von weiter links liegende Neuronen registriert. Dort besitzt das sog. Interferenzintegral den höchsten Wert.
*Konishi, M.: Listening with two ears. Scientific American (April 1993), p. 66-73
Neben Deutungen, die aus der Verhaltensforschung resultieren (Imagery Debate) liefert ein Interferenznetzwerk physikalisch relevante Indizien für die Entstehung und Ausbildung von spiegelverkehrten Körperprojektionen zum/vom Cortex. Wie das Daumenexperiment zeigt, variieren bei Dehnung/Stauchung die Verzögerungszeiten gedehnter oder gestauchter Leitbahnen.
Nehmen wir an, ein Nervennetz besitzt rein funktionale Zuordnungen über Klingeldrähte. Wozu brauchten wir dann nervlich zwischengeschaltete Karten, wie den Homunculus? Diese wären eigentlich überflüssig, sollte da nicht ein ganz besonderes Problem bestehen, welches überhaupt erst durch interferenzielle Betrachtung erkennbar wird.
Nehmen wir dazu weiter an, daß ein Klingeldrahtmodell zwischen Gehirn und Körper so viele Axonen benötigen würde, daß diese nicht durch den Wirbelkanal passen. Ein Interferenzmodell spart hingegen Axonen ein, da 'Bilder' (spiegelverkehrte Projektionen) auf viel weniger Leitbahnen übertragen werden können. Verbleibende Axonen passen durch die Wirbel im Rückenmark.
Genau hier entsteht ein Schnittstellenproblem: Bei jeder Kopfkippung oder -drehung würden die Abbildungen des Körpers im Kopf mitwandern und verrutschen - zwischen Cortex und Körper könnten interferenziell keine Daten ausgetauscht werden, weil diese bei jeder Halsdehnung oder Körperdrehung wechselseitig an einen anderen Interferenzort geliefert werden würden.
(Man stelle sich dazu einen Diaprojektor vor, der aus dem Vorderteil in das Heckteil eines Gelenkbusses leuchtet: Bei jeder Kurve und Bodenwelle verschiebt sich das Bild im Heck oder verschwindet ganz zu einer Seite).
Das Daumenexperiment erbrachte 1992 Gewissheit, daß bei einer Abspreizung des Daumens auch Interferenzorte verändert werden, gleiches muß also von Verbiegungen der Wirbelsäule erwartet werden.
Die Lösung der Natur ist genial einfach. Man schaffe eine Projektionsebene, auf die beide Seiten senkrecht blicken, die also von beiden Seiten (Hirn wie Körper) fokussierbar ist (siehe Movement und Zooming). (Bei unserem Gelenkbus wäre das z.B. eine Leinwand, die wir mitten im Gelenk aufspannen). Diese kann für beide Seiten etwa senkrecht angeordnet werden. Schon verrutschen Abbildungen (motorische, wie sensorische) nicht mehr so stark beim Drehen oder Neigen des Kopfes.
Durch Leitgeschwindigkeitsvariation der Glia im Cortex können Abbildungen auf definierte Gebiete etwas nachfokussiert werden - trotz Kopfbewegung.
Die als motorischer und sensorischer Cortex [Love & Webb 1992, S. 19: 'Homunculus'] (siehe z.B. auch Wikipedia) bekannte Zone zwingt bei interferenzieller Betrachtung zur Schaffung einer notwendigen Koppelstelle zwischen Organen (Cortex und Körper), die beweglich miteinander verbunden sind.
Dieselbe Idee kommt übrigens bei den Augen zum Tragen: auch diese "nehmen die Abbildungen bei Bewegung der Augenmuskeln mit". Hier aber ist der Effekt erwünscht - wie ein Projektor leuchten die Augen abhängig vom Blickwinkel in eine andere Zone des visuellen Cortex, wenn die Augenmuskeln direkt die Glia ansteuern, bewegt sich die Abbildung (Movement).
Da die Augen nie ruhen, entsteht über Interferenzintegrale im visuellen Cortex ein "Bild" der Umgebung, welches wesentlich größer ist, als der Teil, den die Augen unmittelbar zu einem einzigen Zeitpunkt fokussieren. Dies erklärt unsere Weltmodellierung: wir wissen stets, was um uns herum vorgeht, obwohl fixierte Augen nur einen winzigen Bereich der Umgebung wahrnehmen würden.
Um zu einer Idee zu kommen, wie die Natur dieses technische Rätsel im Rückenmark löst, betrachten wir die Leitbahnen und Nervenquerschnitte im Rückrat. Markieren wir rot, grün und blau die Wellenfronten eines Pulses, dann lassen sich dargestellte Beziehungen finden.
Die Grundidee eines Interferenzmodells erzeugt grob und spiegelverkehrt eine Höhenzuordnung von Penfields Homunculus. Außerdem erzeugt es eine (flächige) Kartierung, die den Homunculus in der vorn/hinten-Richtung erweitert, wenn angenommen werden kann, daß mehr als zwei Axonen wirken. Es wäre denkbar, daß dies in der Evolution oder in der Individualgenese eine Rolle spielt: ein halsloser Körperbau bräuchte keinen Homunculus auszubilden.
Gardners 'reflex pathway' wird wie dargestellt interpretiert. Für das Modell geeigneter wäre allerdings eine bidirektionale, sowohl sensorische als auch motorische Einkopplung in das Rückenmark gleichzeitig von vorn und von hinten (c. dorsalis, c. ventralis) - ohne Richtungsunterscheidung. Dabei wäre eine Zwischenumsetzung im ganglion spinalis funktionell nicht bedeutsam.
Für das Modell nicht relevant ist ein Seitenwechsel innerhalb der m. spinalis, diesen erzeugt das Modell automatisch selbst. Ebenfalls nicht relevant ist die Frage, auf welchen Wegen oder Bahnen im Detail die Impulse den Cortex erreichen. Relevant hingegen ist, daß alle Signale gleichartig verzögert werden und daß in der m. spinalis kein zusätzlicher Seitenwechsel im Nervenstrang stattfindet. Eine physisch reale Kreuzung der Bahnen, wie sie in medizinischen Lehrbüchern zu finden ist, würde ein anderes Modell brauchen.
Bild: Modell hyperbolischer, spiegelverkehrter Körperprojektionen des Rückenmarks.
Wird angenommen, daß die Dicke des Rückenmarks höhenabhängig variiert, so benötigt eine hyperbolische Projektion [NI93] in dargestellter Art eine sich verringernde Laufzeitdifferenz mit nach unten abnehmender Dicke des Rückenmarks, Schnitt C4 (a/a') zu Schnitt S6 (c/c'). (Berechnung: siehe Wikipedia/Hyperbel). Dies hat zur Folge, daß die Wellenfronten (rot, grün, blau) verschiedene Interferenzorte ansteuern. Bei gleich angenommenen Neuroneneigenschaften ist für Schnitt S6 (c/c') die Laufzeitdifferenz geringer als für Schnitt C4 (a/a').
Eine von S6 blau dargestellte Wellenfront stiege zwangsläufig nach c oder c' auf, während von C4 bei größerer Laufzeitdifferenz eine schrägere Welle nach a bzw. a' aufsteigen würde. (Die Erregungswahrscheinlichkeit ist in dem Gebiet maximal, in welchem Gleichzeitigkeit des Eintreffens der Pulse herrscht.) Somit entsteht aus der Anatomie zwangsläufig eine Ortszuordnung, die in groben Zügen nur dem motorischen und sensorischen Areal von Penfields 'Homunculus' entsprechen kann.
Dieses einfachste, durch Laufzeitmessungen zu verifizierende Interferenz-Modell generiert damit im wesentlichen folgende Eigenschaften:
Überraschend erscheint die Tatsache, daß sowohl die notwendigen Zuführungen (c. ventralis, c. dorsalis) an der richtigen Stelle vorhanden sind. Nochmehr überrascht allerdings, daß sich sogar die graue Substanz der m. spinalis in der genau passenden Hyperbel-Form anordnet. Die Sektion C4 erweckt den Eindruck, hier seien im unteren Teil zwei Hyperbelanpassungen möglich. Die evolutionäre Idee dahinter ist noch unklar, es kann vermutet werden, daß sich hier die motorischen von den sensorischen Arealen absetzen, bekanntlich liegen diese im Cortex parallel zur Zentralfurche nebeneinander.
Da Interferenznetze äußerst sensibel auf winzige Laufzeit- oder Längenveränderungen reagieren, sind andere Interpretationsmöglichkeiten eher ausgeschlossen.
Mit Rosenblatts 'Perceptron' gelang es in den Fünfzigern erstmals, eine Maschine zu schaffen, die einen Besenstiel ausbalancieren kann. Stellen wir nun dreißig (kleine) Besenstiele übereinander, so wird uns die regelungstechnische Großtat bewußt, die unser aufrechter Gang in sich birgt: Mit Mitteln der Regelungstechnik ist es wohl nicht möglich, einen aus knapp 30 Gelenkteilen bestehenden, instabilen Turm so auszubalancieren, daß er stabil stehen kann. Regelvorgänge zwischen den Gelenken würden sich gegenseitig aufschaukeln, Stabilität des Gesamtsystems kann mit lokalen Regelalgorithmen wohl kaum erreicht werden. Wo also ist eine Lösung zu finden?
Bild: Modell eines sich selbst ausbalancierenden Gliederkörpers [NI93]
Wird vorausgesetzt, daß wenigstens drei Nervenfaser-Bündel in angedeuteter Weise existieren, kann interferenziell eine Welle genutzt werden, um das System zu stabilisieren. Eine periodische Wiederkehr einer vom Gleichgewichtsorgan auf mehreren Nervenbahnen abwärts laufenden Wellenfront wird vorausgesetzt, deren Wellengradient die Lage des Gleichgewichtsorgans wiederspiegelt. Lokale Muskelgruppen könnten entsprechend ihrer von der Wellenfront abweichenden Relativlage nachregeln.
Dem Modell fehlt allerdings noch eine weitere Komponente: Wie kann gewährleistet werden, daß alle Skelettmuskelgruppen mit anteilig proportionaler Kraft agieren? Hier wäre harte Detailarbeit zu leisten.
Schon im Altertum wurde die Frage gestellt, wie wohl die auf der Retina spiegelverkehrt abgebildete Welt wieder ins Lot kommen könnte. Arbeiten die Neuronen zwischen Retina und Visual Cortex nicht als Klingeldrähte, dann spiegelt ein Interferenznetz die Information nochmals. Es muss dabei wesentliche Funktionen unseres Sehens realisieren, wie Zooming und Movement.
Zoom: Haben Sie schon einmal ein hübsches Segelboot aus der Ferne fotographiert? Und auf dem Photo war anschliessend nur ein winziger, weisser Punkt zu sehen, obwohl Sie sogar die Personen auf dem Boot klar erkennen konnten? Offenbar kann unser Auge zoomen. Aber: Die optische Abbildung unseres Auges liefert keine Zoomfunktion. Für Zoom kommt nur das Interferenznetz zwischen Auge und visuellem Cortex (VC) in Frage!
Bild: Sehnervensystem. Zufälligerweise zeigt die Orientierung von Projektionsflächen W (rot und blau) bekannte Abbildungsorte - ein Hinweis auf ein abbildendes Interferenzsystem. Quelle: [NI93]. Eine Aufnahme der realen Delay-Struktur könnte genutzt werden, um die Spezifik des Projektionsraumes interferentiell zu simulieren.
Weltmodellierung: Wir versuchen den Blick zwischen zwei verschiedenen Objekten auf dem Tisch wechseln zu lassen. Dabei wird die relative Position beider Objekte auf der Retina dieselbe sein, nachdem der Gegenstand fokussiert ist. Um beide Objekte getrennt wahrnehmen zu können, ist es nötig, im Cortex ein Weltmodell beider Objekte anzulegen, bei dem beide Objekte örtlich verschieden repräsentiert sind. Die im Movement-Kapitel dargestellte Verschiebung der Karte bei variierendem Delay der Kanäle kann helfen, dieses Problem zu lösen. Die nötige Delay-Variation kann direkt aus der Steuerspannung (siehe Pegelgenerierung) der Augenmuskeln gewonnen werden. Dem corpus geniculatum laterale kommt dabei die Bedeutung eines räumlichen Bildprojektors im VC zu. Allerdings wäre zu erwarten, daß der VC dann größer ist, als gemeinhin angenommen (Bild).
Auch die bekannte, spiegelbildliche Projektion des optischen Systems ist nur über interferentielle Ansätze nachvollziehbar. Die Wellenlänge der Nervenimpulse im visuellen Cortex beträgt bis zu 0.1 Millimeter, die Segmentierung liegt in derselben Größenordnung.
Wir erahnen, daß der Interferenzansatz enorm viele Möglichkeiten bietet, unser Nervensystem zu analysieren: "Die Welt ist erkennbar!"
Ein Ergebnis der theoretischen Untersuchungen an Interferenzschaltungen wäre, daß neuronale Kommunikation nicht nur durch Durchtrennung von Nerven, sondern auch durch parametrische Schwankungen von Laufzeit oder Refrakterität oder durch Veränderung z.B. der Länge eines Nervs gestört wird. Chirurgisches Zusammennähen eines Nervs wird z.B. nur dann sinnvoll sein, wenn Laufzeiten einzelner Bahnen relativ zueinander unverändert bleiben, weil nur dann neuronale Projektionen erhalten werden können.
Ein anderes Ergebnis bestünde in der Erkenntnis, daß winzige, parametrische Schwankungen der Leitgeschwindigkeit ausreichen, um nervliche Abbildungen zu zoomen, zu bewegen, zu löschen oder überzubelichten (Interferenzüberlauf). Tunnelblick kann z.B. aus kleinen Schwankungen der Leitgeschwindigkeit zwischen Auge und VC resultieren (siehe Zooming). Pharmaka, die Leitgeschwindigkeit oder Refraktärzeit verändern, stören das nervliche Kommunikationssystem, da Quellen und Ziele nicht mehr exakt miteinander kommunizieren können.
Drastische Veränderungen der Leitgeschwindigkeit z.B. durch Demyelinisierung (Multiple Sklerose) kann nur dann zu ausfallender Kommunikation führen, wenn das Nervensystem als Interferenznetzwerk zu verstehen ist.
'Keinem Sterblichen ist es vergoennt, das Leben in der Zerstreuung physikalischer oder chemischer Substanz, in diffuser, wenn man will, geistiger Form zu erkennen, und wenn dies geschehen sollte, so wuerde dies gewiss der haerteste Schlag sein, der die heutige, naturwissenschaftliche Anschauung treffen koennte.'
Rudolf Virchow
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